Hallo Bezogen auf unsere Lektüre stelle ich fest, dass Pausanias die Idee mit dem doppelten Eros (irdisch/himmlisch) im Hinblick auf die Sittlichkeit einführt und Eryximachos ihn unter den Aspekten der Heilkunde und anderer Künste aufgreift und zu einem Naturprinzip erklärt.
Beim ersten werden damit Absichten unterschieden, beim zweiten Wirkungen. Pausanias charakterisiert den Eros als irdisch, der die Körper flüchtig liebt, der Verständigkeit aber ausweicht, um leichter zum Ziel zu kommen. Ich sehe hier die spätere Abtrennung der Körperlichkeit angelegt. Pausanias selbst strebt aber ganz sicher nichts dergleichen an, beileibe nicht. Er wünscht sich statt dessen eine gesetzliche Regelung, die die unsittlichen Liebhaber in ihre Schranken weist. Nur der Eros, der die Liebenden zwingt, Sorgfalt auf ihre Tugend zu legen, ist dem Staat und dem Einzelnem förderlich.
Bei Eryximachos hat der Heilkünstler die Aufgabe, die Liebesregungen des Körpers zu erkennen, die rechte von der falschen Liebe zu unterscheiden und sie entsprechend hervorzurufen oder zu vertreiben. Indem Eintracht unter den Gegensätzen gestiftet wird, entsteht Harmonie. Die irdische Liebe muss mit Vorsicht angewendet werden, da sie sonst durch zügellose Lust Unordnung und Krankheit hervorruft. Durch die himmlische Liebe entsteht Freundschaft zwischen den Menschen und mit den Göttern. Eryximachos würde uns also aus medizinischen Gründen vom Verzicht auf den irdischen Eros abraten und zur Vorsicht mahnen.
In der Rede der Diotima findet sich der Doppelaspekt des Eros in der Charakterisierung seiner Eltern, Penia (Armut) und Poros (Erwerb, Betrieb) wieder. Es ist die Armut, die sich am Geburtstag der Aphrodite den schwer berauschten Erwerb zum Gatten nimmt. Eros erbt die Dürftigkeit von der Mutter, stellt aber vom Vater her dem Schönen und Guten nach. Er trachtet stets nach der Wahrheit und versteht auch, sie sich zu erwerben. Bald blüht er und gedeiht, bald stirbt er hin, erwacht aber immer wieder zum Leben. Das Gewonnene rinnt ihm immer wieder von dannen. So sind die beiden Naturen der Eltern in ihm vereint.
Eros strebt nach dem dauernden Besitz des Guten, dies gelingt ihm durch Zeugung im Schönen. Die Zeugung aber ist die Vereinigung von Mann und Frau, also Angelegenheit beider Geschlechter. Auch das ist ein Doppelaspekt. Durch die Zeugung hat das Sterbliche teil an der Unsterblichkeit. (Erfreulich: die Zeugung wird nicht allein dem Mann zugeschrieben und die Frau mit der sogenannten "Empfängnis" abgespeist, "Alle Menschen haben nämlich Zeugungsstoff in sich". Es ist in dieser Sache eine Menge schier unerträglichen Unsinns im Umlauf, z.B. die nicht totzukriegende Samen/Sperma-Analogie, die die Frau metaphorisch dem frisch gepflügten Ackerboden gleichsetzt.)
Es wird nun unterschieden zwischen der körperlichen und der seelischen Zeugungslust. Der seelischen kommt die Weisheit und alle Tugend zu. Diotima lobt die Weisheit am höchsten, die sich mit der Verwaltung des Staates und des Hauswesens befasst. Dank Angelia wissen wir ja, wer bei Sokrates daheim die Hosen anhat, und nicht umsonst hält uns diese Rede eine Frau. Neben den "biologischen Aspekten der menschlichen Arterhaltung" ist damit der Bereich der Kultur durch die seelische Zeugungskraft erfasst.
Es folgt ein Exkurs über die Fortpflanzung der Kultur über Beziehungen, darauf die Entpersönlichung der Liebe und die Hinwendung zum Schönen an sich. Ich werde jetzt ein Weilchen still sein und Euch zulesen. Grüsse, Tan
Ja, ein Weilchen… ist um. Ich antworte mir selbst, wie albern.
Liebe Freunde, ich habe flüchtig einen Text zur „Persönlichkeitskonstruktion im Chat“ überflogen. Nauplios ist recht zu geben. Ein Forum bietet andere Möglichkeiten. Ich lerne hoffentlich dazu.
Wer ist schon Tanoujin? Doch nur das, was ich hier aus ihm mache. Es gibt also neben der Axt im Walde noch die Möglichkeit, einfach und schlicht zu sagen, was man denkt. ------
Zitat aus Ekkehard Martens „Philosophieren mit Kindern, eine Einführung in die Philosophie“ Reclam 9778
„ Wir schieben die Frage, wie und wozu wir leben sollen oder können, aus unserem Alltag in Sondersituationen ab und delegieren sie darüber hinaus von uns selber auf Experten. […] Um der Aufforderung nachkommen zu können, genauer zu sagen und besser zu begründen, was man meint und will, braucht man keine speziellen Fachkenntnisse oder Sonderbegabungen, sondern man muss lediglich denken und sprechen gelernt haben. […] Wenn man aber ersteinmal damit anfängt, konsequent weiterzufragen und weiterzudenken, kommt man unweigerlich auf Fragen, die vermutlich jeder als philosophisch gelten lassen würde. […] In unserer Tradition hat sich seit den Griechen eine Skepsis gegenüber vermeintlichen Unmittelbarkeiten und Selbstverständlichkeiten herausgebildet und mit ihr die Gewohnheit, über unser eigenes Denken nachzudenken oder zu reflektieren.“ ------
Angelia, eine bessere Antwort auf die Frage nach der philosophischen Relevanz von X habe ich derzeit nicht. Lektüre erfordert eine gewisse Offenheit gegenüber dem Stoff, gerade dann, wenn er irritierend ist. Es führt zu etwas, ich löse es unten ein.
Harmony, ich schätze deinen Praxisbezug mehr, als ich hier sagen kann. Nimm es, was mich betrifft nicht als Eindringen, sondern als Berührung eines Haares. Wegen der „sich rechtfertigenden alten Männer“: Agathon und Aristophanes sind zur Zeit der Handlung ca. 30 und 31 Jahre alt… ––––
Um der Rede des Phaidros Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Phaidros ist offenbar ein recht junger Mann, der sich häufig und gründlich mit dem heilkundigen Eryximachos bespricht. Es ist doch schön, zu sehen, wie Eryximachos die Geschäftsordnung regelt, um das Referat seines Schützlings zu lancieren, und die Offenheit, mit der alle sich für diese Runde unter den Vorsitz des Phaidros begeben. Er macht seine Sache recht gut, als er später eine ausufernde Diskussion zwischen Sokrates und Agathon unterbricht. (PDF S.52)
In seiner Rede bezeichnet er den Eros als Urheber der höchsten Güter, das ist: ein schönes und würdiges Leben zu führen und Großes zu vollbringen. Ein Liebender prüft sich selbst mit dem Auge des Geliebten, ebenso der Geliebte mit dem Auge des Liebhabers. Das Urteil der anderen setzt dem eigenen Verhalten Grenzen und motiviert zu überragenden Leistungen. Nur Liebende sind bereit, füreinander zu sterben. Die Götter ehren den Eifer und die Tüchtigkeit im Dienste der Liebe vor allem. Die Rede enthält eine Utopie: eine ideale Gemeinschaft, in der alle einander lieben.
Liebenswert an Phaidros ist, wie er Haltung und Inhalt auf einen Nenner bringt. Pausanias wird daran anknüpfen und den Eros spalten. Die Sichtweise des Liebhabers des Agathon ergänzt so die Rede des Geliebten des Eryximachos. Eryximachos wird versuchen, die Gegensätze wieder zu versöhnen. -----
Die Relevanz des homoerotischen Aspekts: es ist eine Männerrunde, die ausgehend von der Liebe unter Männern zu einem allgemeinen Begriff kommt. Daher ist die Diotima eine notwendige Figur.
Phaidros würde alles dafür tun, um geliebt zu werden. Die Lebensaufgabe der Kindheit, Selbstkontrolle und Beherrschung von Regeln zu erlernen, spiegelt sich in seiner Bemerkung über die Scham. Die Lebensaufgabe des Heranwachsens, eine Persönlichkeit zu entwickeln, zeigt sich in der naiven Behauptung: ich bin nur jemand, wenn ich geliebt werde. (Ich stütze mich dabei auf das Erikson-Schema der Lebensstadien) Kein Wunder, das Pausanias daraufhin einschreitet! Sokrates wird in seiner Rede eine Orientierung geben, die Pausanias’ Sittengesetz übersteigt: Indem man auch dem guten Leben anhängt, wenn man nicht dafür geliebt wird, stellt man sich den Problemen von Isolation und Abhängigkeit und tritt dadurch ein in die Verantwortung, von der Pausanias gesprochen hat. –––
Es bleibt bezüglich dieser Rede noch etwas anzumerken: der dionysische Auftritt von Alkibiades wird von Eryximachos in eine Lobrede auf Sokrates kanalisiert. Seht Euch seine Büste an :-). Zur Zeit der Handlung ist er 54 Jahre alt. Also, zugegeben, Harmony.
Und hier liegt der Clou, denn wenn Phaidros alles tun würde. um in den Augen der anderen liebenswert zu erscheinen, dann soll er nur dem Sokrates nacheifern und kräftig philosophieren. So schließt sich der Kreis der Reden.
Ich wünsche einen schönen Tag, und hoffe, von Euch zu hören. Tan
erst einmal herzlich willkommen Tan in unserem Kreis, ich las erfreut deine Beiträge und auch ich bin der Meinung, dass es keines Expertenwissens bedarf, um sich mit philosophischen Fragestellungen zu beschäftigen, erst durch die Freude am Tun wird man aufmerksam und lernt dazu. Ich freue mich dies im Austausch mit Euch zu tun, denn ich bin für Selbststudien wohl zu undiszipliniert.
Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Sokrates in seiner Zeit sehr viel Vereehrer hatte, er genoss in seinen Kreisen wohl eine exponierte Stellung, er konnte tun und lassen was er wollte, er war sich seiner Bewunderer bewusst, und genoss diese Tatsache in vollen Zügen, wie sonst ist es zu erklären, dass er die anderen auf sich warten ließ, er kam erst mit reichlich Verspätung zu dem Gastmahle, aber er konnte es sich leisten , es war seine Art und dafür war er bekannt, wieso auch sich eilen, die anderen warten mit ihren Gesprächen bis die Hauptperson anwesend ist.
Noch deutlicher wird dies wenn man sich den Auftritt des Alikibiades bildlich vorstellt, er ist in der Rolle der verschmähten Geliebten der um die Gunst des Sokrates buhlt und sehr eifersüchtig auf die momentane Zuneigung des Sokrates zu seiner neuesten Liebschaft, nämlich den Agathon reagiert. Diese Szenen scheinen mir wahrlich filmreif und amüsant. Also gut, erhrlich gesagt, ich beneide den Sokrates etwas, denn wer von uns würde nicht gern so beliebt sein..grins
Harmony, ich freu mich, dass Du mich vor dem Autismus rettest. Sokrates ist aber auch darauf angewiesen, von verständigen Freunden vor Störungen geschützt zu werden. Aristodemos, der kleine barfüssige Mann, schirmt ihn freundlicherweise ab vor den Nachstellungen Agathons, der ihn am liebsten an den Haaren herbeizerren lassen würde. Ein echter Liebesdienst, finde ich.
Der Witz ist ja, das Sokrates aus dem Alter der Lieblinge längst hinaus ist, und eigentlich in die Klasse der Liebhaber gehört. Nur ist seine Art der Liebe scheinbar selbst wiederum so liebenswert, dass er sich vor der hervorgerufenen Gegenliebe kaum mehr retten kann. Sicher war es ihm nicht gerade angenehm, auf diese Art zum Vordenker gemacht zu werden. Vielleicht brauchte er auch Zeit, um sich zu wappnen, ich weiß es nicht.
Was Agathon angeht, bin ich sicher, dass er der Liebling Pausanias’ ist, Aristophanes sagt es am Ende seiner Rede. Aber Sokrates sagt ja auch sinngemäß: rettet mich vor diesem Wahnsinnigen (Alkibiades), der meint, ich dürfe nur ihn allein lieben und keinen anderen, und Agathon dürfe nur von ihm allein geliebt werden und von keinem anderen. Der Eros ist also nicht exklusiv. So ist die Treue offenbar nicht gemeint.
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Ich hab mir diesesmal Aristophanes vorgenommen. Angelia, schau mir doch bitte ein wenig auf die Finger, ich hab Dir einiges an Anregung zu verdanken.
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Alkibiades’ Auftritt unterdrückt eine sich anbahnende Auseinandersetzung zwischen Sokrates und Aristophanes (PDF S.95) „weil Sokrates in seinem Vortrage auf ihn mit der Erwähnung jener umlaufenden Rede gezielt hatte.“ Was ist gemeint?
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Aristophanes wäre an dritter Stelle in der Reihenfolge gestanden, war aber wegen Schluckauf verhindert gewesen und hatte mit Eryximachos getauscht. Für seine Rede fürchtet er nicht, dass sie Lächerliches enthalten möge, sondern vielmehr Verlachenswertes.
„Nein, sei auf der Hut und rede so, dass du Rechenschaft ablegen kannst“, entgegnet Eryximachos (S.40) dem Komödiendichter, „dessen ganzes Treiben sich um den Dionysos und die Aphrodite dreht.“ (S.15)
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Aristophanes zeichnet ein groteskes Bild von den 3 menschlichen Urgeschlechtern, den Mann-Männern, Mann-Weibern und Weib-Weibern, die je 4 Füße & Hände, und am gemeinsamen Kopf 2 Gesichter hatten. Sie bewegten sich radschlagend fort und gingen mit hohen Gedanken um, so dass sie selbst an die Götter sich wagten.
Daher schnitt Zeus jeden einzelnen von ihnen in 2 Hälften und behielt sich vor, diese Strafe zu wiederholen und die Menschen zu Einbeinern zu machen, wenn sie weiterhin keine Ruhe halten wollten. Die davon zurückgebliebene Narbe ist der Nabel (!). Da sich die getrennten Hälften aneinanderklammern, ist eine Nachoperation erforderlich, so wird der Geschlechtsverkehr erfunden.
Ein Mann, der seine andere Hälfte in einem Mann sucht, wird zwar schamlos genannt, auch muss diese Art zu Ehe und Kinderzeugung gesetzlich gezwungen werden, dabei handelt es sich aber um die vortrefflichsten Leute. (na klar!)
Wenn nun 2 wirkliche Hälften aufeinandertreffen, wollen sie keinen Augenblick voneinander lassen und ihr ganzes Leben miteinander zubringen, obwohl sie nicht einmal zu sagen wüssten, was sie eigentlich voneinander wollen. Nicht die Gemeinschaft des Liebesgenusses, sondern etwas Ahnbares und Rätselhaftes hält sie zusammen, nämlich der Wunsch, zu einem einzigen Wesen zu verschmelzen. Das ist Liebe.
Wenn wir aber noch einmal gegen die Götter freveln, werden wir mitten durch die Nase durchgesägt werden. Sind wir dagegen ehrfürchtig gegenüber den Göttern, erlangen wir dasjenige, wozu uns Eros Führer und Hort ist und was jetzt nur von wenigen erreicht wird. Es wäre lächerlich, dabei an Pausanias und Agathon zu denken, die vielleicht tatsächlich zu den Auserwählten zählen (soso!), sondern alle, Männer und Frauen, sind damit gemeint.
Wenn es aber das Höchste ist, den je eigentümlichen Liebling zu erlangen und mit ihm in die alte Natur zurückzukehren, so muss notwendig in unseren jetzigen Zuständen das diesem Zunächstliegende das Beste sein.
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Eryximachos erwidert: „Auch mir ist diese Rede zu Dank gesprochen“. Damit hat der ironische Teil des Symposion seinen Höhepunkt erreicht. Was wird Sokrates dazu sagen? Er seufzt und gibt Agathon den Vortritt.
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Ich stelle meine Interpretation zur Diskussion: Aristophanes ist ein Konservativer und ein bekennender Heterosexueller. So weit, so gut. Er sucht im Geschlechtsverkehr die Wiedervereinigung mit seiner Mutter (Nabelnarbe…) als Rückkehr zur Urnatur. Die Liebe ist eine Schicksalsmacht, menschlicher Gestaltungswille kann da nur stören. Stets aufs neue hat man so zu tun, als hätte man die einzig wahre Liebe gefunden – da empfiehlt sich Treue, um diese Illusion nicht zu gefährden. Liebende geben ihre eigene Person auf und reißen alle Grenzen zwischen sich nieder, jede Distanz ist ausgeschlossen. Die Gemeinschaft des Liebesgenusses (die mit Verstand erarbeitet werden könnte) bietet keinerlei Orientierung. Ich bitte auch zu beachten, was damit der Aphrodite angetan ist, sofern jene Göttin gemeint ist, die dem titanischen Leiden ein Ende setzt, indem sie dem stummen Trieb zur Sprache verhilft… Also? Was sagt ihr?
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Sokrates führt folgende Äußerung seiner Lehrerin Diotima dagegen an (S.79): „Nun geht zwar die Rede, […] dass diejenigen lieben, welche ihre andere Hälfte suchen; meine eigene Rede aber sagt, dass die Liebe weder auf die Hälfte noch auf das Ganze gerichtet ist, wenn es nicht eben, lieber Freund, etwas Gutes ist. Denn die Menschen sind bereit, sich ihre eigenen Hände und Füße abschneiden zu lassen, wenn ihnen diese, ob auch immer ihre eigenen, so doch zum Übel zu sein scheinen. Denn niemand liebt, wie ich denke, das Eigene als solches, es müsste denn jemand das Gute als das Angehörige und wahrhafte Eigentum bezeichnen, das Schlechte aber als das Fremdartige. Nichts anderes nämlich lieben die Menschen als das Gute;“
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Zum Glück habe ich auch in der Welt der Körper Gelegenheit, mit anderen über diesen wunderbaren Text zu sprechen. Es gibt verschiedene Lesarten… und es wirkt sich aus ;-)
Ich habe es getan > Angelia, schau mir doch bitte ein wenig auf die Finger, < und pure Inspiration für einen weiteren Gedankenaustausch gefunden.
Ich starte einfach mal durch mit dem ersten Teil.
Aber Sokrates sagt ja auch sinngemäß: rettet mich vor diesem Wahnsinnigen Alkibiades ) heißt es in deinem Text. Interessant ist, warum Alkibiades dem Sokrates so verfallen war.
Dies gesteht er der illusteren Runde. Da sein zu spät kommen keinen Anlass mehr gibt über Eros zu sprechen, soll er statt dessen Sokrates huldigen und wer könnte das besser, als ein zwar ( oder gerade deshalb) Betrunkener aber ihm mit Leib und Seele Verfallener.
Sokrates soll ja nicht so besonders gut ausgesehen haben, aber so wie die Flötenspieler Menschen durch den Klang ihres Instruments fesseln konnten, könne Sokrates es durch seine Reden. Nicht nur Alkibiades hing an seinen Lippen, anderen erging es ebenso. Nun könnte man annehmen, Alkibiades sei liebestrunken von den Worten seines Angebeteten eingelullt, ähnlich einer Dame dem Minnegesang ihres Bewerbers, der unter ihrem Balkon schöne Weisen trällert, ein Gedicht von ewiger Liebe vorträgt und sich erhofft auf diese Weise Einlass in ihr Schlafzimmer zu bekommen.
Aber so war es nicht, wenn Sokrates sprach, berührte er die Herzen und die Seelen, besonders das von seinem Laudator. Sein Herz begann zu pochen, Tränen schossen ihm in die Augen und seine Seele geriet in Aufruhr. In dieser Stimmung fühlte der junge und schöne Mann sein Leben als unerträgliches Schicksal auf sich zukommen, sollte er sich nicht ändern und so bleiben wie er ist, sollte er sich nicht bemühen weiser zu werden. Er schämte sich in Sokrates Gegenwart, denn tief in seinem Inneren hatte er die Gewissheit, dass dieser ältere Mann Recht mit seinen Reden hatte. So fühlte er sich hin und hergerissen dem Sokrates auszuweichen und somit der Konfrontation mit sich selbst, sowie dem heißen begehren ihm auf immer und ewig zuhörend zu Füßen zu liegen.
Auch sei es, obwohl der äußere Anschein es vermuten ließe, nie Sokrates Ansinnen gewesen sich an den schönen Körpern der Jünglinge zu laben, er lauerte ihnen zwar auf, verwickelte sie dann aber in Gespräche, öffnete ihr Inneres und holte mit seiner Hebammenkunst (Mäeutik ) das Beste aus ihnen heraus. Alkibiades selbst war so entzückt von dieser Erfahrung, die er als Blick auf golden, glänzende Götterbilder beschreibt, dass er sofort bereit war, sich für Sokrates in den Staub zu schmeißen, was heißen soll sich ihm im Liebestaumel hin zugeben. Doch trotz eifriger Verführungskünste und einer Nacht auf dem gemeinsamen Lager blieb Alkibiades unberührt, denn die Liebe des Sokrates war besonnen -platonisch - weise, seiner eigenen Rede treu.
Ich stelle meine Inhaltsangabe gern zur Diskussion.
Tan stellt folgendes zur Diskussion: >Aristophanes ist ein Konservativer und ein bekennender Heterosexueller. So weit, so gut. Er sucht im Geschlechtsverkehr die Wiedervereinigung mit seiner Mutter (Nabelnarbe…) als Rückkehr zur Urnatur. Die Liebe ist eine Schicksalsmacht, menschlicher Gestaltungswille kann da nur stören. Stets aufs neue hat man so zu tun, als hätte man die einzig wahre Liebe gefunden – da empfiehlt sich Treue, um diese Illusion nicht zu gefährden. Liebende geben ihre eigene Person auf und reißen alle Grenzen zwischen sich nieder, jede Distanz ist ausgeschlossen. Die Gemeinschaft des Liebesgenusses (die mit Verstand erarbeitet werden könnte) bietet keinerlei Orientierung. Ich bitte auch zu beachten, was damit der Aphrodite angetan ist, sofern jene Göttin gemeint ist, die dem titanischen Leiden ein Ende setzt, indem sie dem stummen Trieb zur Sprache verhilft… Also? Was sagt ihr? <
Als ich Aristophanes Rede zum ersten mal las, dachte ich, ach, auf ihm beruht der Mythos der geteilten Seelen, die sich ein Leben lang suchen und sich wahrscheinlich nie begegnen. Ich kenne diesen Mythos schon ewig, weiß zwar nicht woher, aber ich kannte ihn. Irgendwie passte er auch hervorragend zu meinen Gefühlen, ich liebe diese Vorstellung, entspricht sie doch auch meinen wild romantischen Träumen und ... Illusionen. Wie auch immer, ich fand den Gedanken von Seelenverwandtschaften, geteilten Seelen schon immer, solange ich zurück denken kann, höchst inspirierend. Aber dann, als ich las, wie dieser Mythos entstand, war ich zutiefst enttäuscht, ich dachte, klasse, deine geheimsten Vorstellungen von der metaphysischen Seite der Liebe sind nix weiter als Hirngespinste besoffener Griechen und du dusselige Kuh hast das mal wer weiß wo in der Kindheit aufgeschnappt, liebst diesen Gedanken und wirst wahrscheinlich unbewusst seit dem davon an der Nase herumgeführt. Ich sah mich einer Quelle der Inspiration beraubt... Das ist schlimm...
Da muss jetzt also die Vernunft her und somit Freud und Jung, all die tiefenpsychologischen Erklärungen, um zumindest im Ansatz die unbewussten Strömungen der Triebfeder Libido oder Eros aus dem Unterbewusstsein zu erklären. Das Gefühl des getrennt seins ist also nix anderes als das Drama der Durchtrennung der Nabelschnur. Die Sehnsucht nach Ganzheit durch den Rauswurf aus dem Uterus bedingt und die Spaltung unserer Persönlichkeit, die unbewusst nach Ganzheit verlangt, ist unser Ich, Es und Überich, unsere inneren Instanzen, dann unsere ganzen Zusatzpersönlichkeiten, der Macho, der Softie, der Tölpel, der Richter, das Kind in uns, der Erwachsene, der Weise, der Angsthase... Wer bin ich und wenn ja wie viele müsste die Frage lauten ( Arvid Leih - nur in deinem Kopf S.119) Übrigens besteht kein Grund zur Panik, solange sich die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile in uns sich nicht über unseren Kopf hinweg miteinander unterhalten ist das alles normal, so die Psychologen.
Das liebe Leute ist nur der Anfang der Seelenselektion. Wem es jetzt schon schwindelig ist, sollte erst gar nicht versuchen Libido oder den Eros wissenschaftlich anzugehen, denn über Penisneid und Gebärneid habe ich noch kein Wort verloren, Hormone und die Hirnfunktionen, Prägungen, Rollenverhalten, Familienaufstellungen .... Ich zumindest weiß nun, in Aufruhr gebracht, dass ich nichts aber auch gar nichts weiß.
Komisch ist nur, starre ich stundenlang auf das Meer und verlieren sich meine Gedanken in der Weite des Horizonts, bleibt als einziger Gedanke nur noch übrig, komisch, die Welt ist doch so in Ordnung wie sie ist. Ich bin beruhigt und wähne den Schlüssel der Wahrheit über die Liebe dann doch in meinem Inneren.
>>„Nun geht zwar die Rede, […] dass diejenigen lieben, welche ihre andere Hälfte suchen; meine eigene Rede aber sagt, dass die Liebe weder auf die Hälfte noch auf das Ganze gerichtet ist, wenn es nicht eben, lieber Freund, etwas Gutes ist. <<
Hmmm und *seufz* wie ist es Alkibiades noch mal ergangen? Er fühlte eine innere Gewissheit, er war innerlich berührt wenn Sokrates sprach, mir dagegen wir kalt, wenn ich versuche die Liebe/ Eros/ Libido rational zu ergründen.
Ich lese das Gastmahl lieber noch einmal durch.
Vielen Dank an diejenigen die sich bis zum Schluss tapfer durchgelesen haben und vielleicht hat jemand noch andere Gedanken zu Tans Diskussionsangebot.
Zum Mythos der geteilten Seelen: Deine Enttäuschung geht mir nahe. Ich bedaure, nicht sorgfältiger vorgegangen zu sein. Na prima, löffele ich die Suppe eben aus.
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Nabelschau Aristophanes erzählt eine „umlaufende Rede“ und schmückt sie seiner Muse entsprechend aus, d.h. die Geschichte ist gar nicht von ihm, sondern vielleicht ein Märchen, das man damals den Kindern erzählt hat? Die Sachen mit dem Nabel widerspricht so krass der Lebenserfahrung, dass ich mir nicht vorstellen kann, erwachsene Menschen hätten so etwas je geglaubt. Und die Drohung, in der Mitte durchgeschnitten zu werden, steht etwa auf einer Stufe mit dem Schwarzen Mann, der einen holen kommt, wenn man nicht brav ist. Die psychologisierende Erklärung ist übrigens wildes Denken. Ich habe nur versucht, das mit dem Nabel, dem Geschlechtsverkehr und der Urnatur in eine sinnvolle Anordnung zu bringen. Es lässt sich vielleicht bündig aus dem Text entnehmen, enthält aber laut einer befreundeten Psychologin/Verhaltenstherapeutin keine „psychologische Wahrheit“, sondern ist einfach Quatsch. Es ist doch etwas abseitig, die Schwangerschaft als Idylle zu sehen, die durch die Katastrophe der Geburt unwiderruflich beendet wird um dann in der Sexualität umständlich wieder errichtet zu werden. Das ist in allen drei Teilen alles andere als zwingend. Da könnte ich mir schon eher vorstellen, dass Aristophanes kein Wunschkind war und sich jetzt trotzig überall reindrängelt. Aber auch das ist wohl eher Quatsch. Bemüht man Anima/Animus von Jung, kommt man in dieser Konstellation bei Narkissos heraus – mit welchem Nutzen? Es lässt sich von diesem Ausgangspunkt alles mögliche behaupten. Hätte ich besser lassen sollen.
Verliebtheit und Liebe Der Mythos der geteilten Seelen beschreibt treffend das Gefühl der Verliebtheit. Das muss man ja nicht entwerten. Tatsächlich kann man sich auch nach 4000 Tagen Beziehung noch einmal neu ineinander verlieben. Ich nenne es lieber eine Phase der Annäherung. Aber immer wieder tut auch die Kühle der Distanz ganz gut, um sich klar zu werden, was man eigentlich gerade jetzt voneinander will. Beide entwickeln sich ja weiter, oder zumindest sollte es so sein. Also gibt es auch Konflikte. Schlimm ist nur die stumpfe Gleichgültigkeit aus nächster Nähe. Versteht man sich als Schicksalsgemeinschaft, kann es zu Mord und Totschlag kommen. Die so genannten „erweiterten Selbstmorde“ (bei denen der Täter dann meist die ganze Familie auslöscht und apathisch mit der Flinte auf dem Schoß gefunden wird) sind doch nur die Spitze des Eisbergs. So eine Liebeshölle bastele ich mir aus Irrationalität, Verständnislosigkeit und gegenseitiger Abhängigkeit zackzack zusammen. Man muss es nur lange genug schleifen lassen. Auf der anderen Seite mache ich die Erfahrung, dass ich mich mit dem überwiegenden Teil meiner Verwandtschaft gut befreunden kann. Ich sitze stundenlang mit einer 74-jährigen zusammen, die in die Demenz abrutscht, und empfinde diese Zeit nicht als verschwendet. Sie weint ab und zu ganz unmotiviert. Neulich hat sie einen Witz erzählt (2 x hintereinander) und dabei geweint und gleichzeitig mit mir gelacht, da habe ich verstanden, dass das eben einfach ein Symptom ist. Ihre Enkelin hat mir gestern ein Bild gemalt. Ich muss sie noch fragen, wo oben und unten ist, bevor ich es aufhänge. Die Knete ist schon grau gespielt. Nächste Woche backen wir Plätzchen. Letzte Woche habe ich den Mann angerufen, den sie vor 20 Jahren wegen seiner politischen Meinung verhaftet haben, weil ich eine Frage an ihn hatte. Das Wort „Liebe“ gehört erst seit neuem wieder zu meinem aktiven Wortschatz, aber ich geize noch damit. Mir war es zwischenzeitlich zu kitschig.
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Zu Deiner Inhaltsangabe: das lese ich ähnlich wie Du, hilft mir auch ein Stück weiter. Es scheint bei der Liebe, wie Sokrates sie ausübt, nicht darum zu gehen, sich an jemandem zu befriedigen, sondern um das Verstehen oder Begreifen. Alkibiades ist zwar tief beeindruckt, aber er findet kein angemessenes Verhalten und beharrt darauf, Sokrates anbetend zu Füßen zu liegen oder ihn beleidigt zu meiden, statt sich auf Augenhöhe zu begeben. Das Beste was er zu haben meint, sein schöner Körper, wird zurückgewiesen. Seine eigenen Geisteskräfte scheint er dagegen so gering zu schätzen, dass er es gar nicht erst in Erwägung zieht, sich Zuwendung zu verschaffen, indem er mit Sokrates ein Gespräch führt. Statt dessen wirft er sein Gewand über ihn. Alkibiades ist kein Dummkopf, hat es aber geschafft, sich Sokrates gegenüber als uneinsichtiger, in seiner Leidenschaft bedrohlicher Zeitgenosse darzustellen. Die Eifersüchteleien in Bezug auf Agathon verstärken den Eindruck dass er alles unter dem Zeichen der Konkurrenz und des Wettkampfes auffasst. Selbst die Hebammenkunst ist dagegen machtlos. Alkibiades hält sie wahrscheinlich für Erziehung durch rhetorische Fragen. Er ist zur Zeit der Handlung etwa 34 Jahre alt, wird im nächsten Jahr einen glücklosen Feldzug veranlassen und vor seiner Ermordung noch 12 äußerst wechselvolle Jahre erleben. Das passt ja ganz gut ins Bild.
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Bitte gebe Dir keine Tiernamen, das macht mich nervös.
also deine Enttäuschung über die angebliche Entmysthifizierung der Legende der Seelenverwandtschaft kann ich nicht ganz nachvollziehen.
Das Bild, das Aristophanes nacherzählt, ist doch ein wunderbar romantisches Gleichnis, das bei vielen Verliebten zu der Illusion führt den einzig passenden Partner fürs Leben gefunden zu haben. Die einzige wahrhaftige große Liebe, die schicksalhaft und unausweichlich ist, wie schön spricht man doch auch heute davon, dass jedes Töpfchen sein passendes Deckelchen finden wird.
Dabei stehen zu bleiben und zu verschmelzen zu einem Ganzen, sich selber ohne den anderen nicht mehr denken zu können ist aber, wie Tan richtig ausführt, eine verhängsnisvolle Vorstellung, jeder gibt seine eigene Persönlichkeit ganz auf, zugunsten einer neuen "Wir" Person. Das Bild der fatalen Abhängigkeit siamesicher Zwillinge drängt sich auf.
Die Vorstellung der partnerschaftlichen Liebe scheint doch allgemein über diese romantisch verklärte Vorstellung hinauszugehen, Liebende sind nicht zwei halbe Wesen die erst durch die Gemeinsamkeit ein Ganzes werden, wer liebt gibt nichts auf, sondern im Idealfall regt eine Beziehung doch beide Partner zur Weiterentwicklung und zum Wachstum an, wenn sie denn wirklich seelenverwandt wären, wäre dies nicht möglich, da sie in ihrem Partner lediglich ihre andere Hälfte spiegeln würden und nichts über ihre eigne Persönlichkeit hinausgehende lernen würden, sie würden den Geliebten ja kennen und nicht reifen und wachsen können, sondern sich nur selber in ihm wiederfinden.
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Ich glaube nach wie vor, der Sokrates genießt seine exorbitante Stellung als von vielen Bewunderter und Begehrter, könnte es nicht so sein, dass er seine wahre Freude daran hat, wie so viele Machos, seine Liebschaften zu wählen und den einen oder anderen "abblitzen" zu lassen?
Alikibiades fühlt sich verstoßen und verschmäht, er gibt weinseelig und offen zu, dass der Sokrates ihn nicht an sich ließ und wie zum Hohn setzt Sokrates ihm nach dessen einseitigem öffentlichen Liebesgeständnis noch weiter zu;
"Sokrates aber habe gemeint: Du scheinst mir ganz nüchtern zu sein, Alkibiades. Denn sonst würdest du es wohl nicht so geschickt durch allerlei Winkelzüge zu verbergen versucht haben, zu welchem Zwecke du dies alles gesagt hast, und nur zu Ende sowie im Vorbeigehen darauf gekommen sein, als ob du nicht auch schon alles Vorige bloß deshalb gesagt hättest, um mich mit Agathon zu entzweien, in dem Wahne, ich dürfe bloß dich allein lieben und keinen anderen, Agathon aber dürfe bloß von dir allein geliebt werden und von keinem anderen. Aber du bist nicht damit durchgekommen, sondern dein Satyr- und Silenendrama ist entlarvt worden. Darum, lieber Agathon, laß ihn keinen Gewinn davon haben, sondern sorge, daß niemand uns beide entzweie! "
Welch eine Schmach für den armen Alkibiades (hihi das Kürzel Alki find ich gerade sehr sinnig) die öffentliche Abkehr des Sokrates von ihm und Zuwendung zu Agathon, dem er denn auch eine Lobrede halten mag.
Nun ja ich denke es gibt einige Lesarten und ich finde der Sokrates könnte auch ganz egozentrisch und machtlüstern dieses "Spiel" machohaft genossen haben.
Angelia, mir scheint ich bedarf einer kleinen Einführung in die Metaphysik, um die Begrenzungen meiner materialistischen Einstellung nicht länger als Scheuklappen empfinden zu müssen. Jedenfalls wäre es mir arg, wenn Du in Deinem Erleben mystischer Einheit am Meer oder sonstwo verunsichert wirst, weil irgendein unzureichender Logos Deine Quellen verschüttet.
Vielleicht hast Du ja Zugang zu den von Diotima beschriebenen Mysterien. Ich glaube nicht, dass Du das Gefühl, Teil des großen Ganzen zu sein opfern musst, um über Aristophanes hinauszugehen. Fällt Dir denn der Verzicht auf das blinde Wüten des Schicksals, das nur Wenige auszeichnet und die Mehrheit verwirft, so schwer? Ist es andererseits so beunruhigend, aus dem Denken heraus in Aussicht gestellt zu bekommen, aus dem Gegebenen das Beste machen zu können, statt sich demütig mit einer im Lotteriemodus ausgeteilten Annäherung an die einzig wahre Liebe zufrieden geben zu müssen?
Ich lese ebenfalls noch mal. Tragen wir das erst aus, bevor wir durch Agathon gehen, ich möchte Dich nicht überwalzen.
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Harmony, 2 Narren, ein Gedanke! . Für deine frevelhafte Behauptung muss ich erst nach Gegenbelegen suchen, zieh Dich schon mal warm an.
Laßt uns doch die Dinge langsam angehen. Ich schreibe hier nur, was mir so durch den Kopf geht. Deshalb kann ich auch keine konkreten Antworten auf konkrete Fragen ( Tan) geben, ich will es auch nicht. Genauso wenig kann ich eine Einführung in die Metaphysik geben. Das einzige was ich versuchen kann, ist die Rede der Diotima noch einmal aufzuschlüsseln und eine Verbindung zu Aristophanes, so wie ich mir das denke her zustellen.
Dazu muss ich aber erst meine Quelle anzapfen Macht euch keine Sorgen um meine Empfindlichkeiten, mit der Zeit und ich hoffe die haben wir, lernen wir uns eh besser kennen.
Romantische Gefühle und Illusionen sind leicht zu erzeugen, siehe Alkibiades, wenn sich, wie in seinem und nicht nur in seinem Fall, anstelle von Klarheit ein Verzückungszustand einstellt und nicht überwunden wird. So kann man die Rede des Aristophanes natürlich auch lesen.
Wie gesagt, ich stehe weder auf Ideen oder Träume, die von schöngeistigen Griechen im Suff erfunden wurden noch auf Illusion. Schließlich hängt da einiges von ab.
So habe ich recherchiert, ob die Schöpfungslegende der Griechen, durch Aristophanes in eine drollige Version gebracht, nicht auch in anderen Kulturen zu finden ist. Und ...ha.. Jawohl.. Nicht nur bei den Kelten , dort war es Tuisto, der nach seinem Ebenbild eine androgyne Mann / Weib Gestalt geschaffen hat - aus Mitleid oder Angst hat er sie dann getrennt in Mann und Frau, in Du und Ich, und sie beauftragt, wieder zusammenzuwachsen zu seinem androgyn Ebenbild Dui(s). Du + I = Dui. ( http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Tuisto.html#Schöpfungslegende_der_Kelten )
sondern auch im Hauptwerk Sohar der jüdischen Kabbala ist dieser Grundgedanke zu finden. Aber ich kenne mich mit der Kabbala gar nicht aus und kann nix dazu sagen.
Also so einfach scheint mir nix auf eine Formel zu bringen, um dann husch husch über das Symposion drüber zu fliegen.
Ne, ne Philosophie stelle ich mir so aber nicht vor
Angelia, das muss ich erstmal verdauen. Wie hab ich es denn geschafft, den Eindruck zu erwecken, Dich festnageln zu wollen? Vielleicht bist Du in mir dem Hässlichen begegnet. Ich werd mal ablassen, wie Du vorschlägst.
Folgendes zur Überprüfung:
Harmony behauptet, Sokrates genießt seine allgemeine Beliebtheit und hat Freude daran, im Mittelpunkt zu stehen. Ich behaupte, er genießt es nicht unbedingt.
Betreibt Sokrates seine Sache, um beliebt und bekannt zu sein, oder hat er andere Gründe? Wenn es nicht Beliebtheit ist, sondern zum Beispiel, die Beliebigkeit des Sophismus zu überwinden, lassen sich Fälle konstruieren, in denen seine Beliebtheit in Konflikt zu seiner Motivation steht.
Angenommen, Sokrates möchte die Künste der Rede, des Behauptens, Beweisens und Widerlegens auf die Wahrheit lenken? Dann wird er seine Beliebtheit im Zweifelsfall dem opfern was er für richtig hält und lieber die Wahrheit als sich selbst im Mittelpunkt sehen.
Belege dafür lassen sich in der Biografie finden (die ich noch nicht ausreichend kenne), denn er wird ja verurteilt werden von den Demokraten, die noch am ehesten seine „Partei“ wären und sich hinrichten lassen, statt die Gelegenheit zur Flucht zu ergreifen.
Unser Text lässt darauf schließen, dass er die Wahrheit liebt, vielleicht hat Platon a.a.O. seine Motivation noch bündiger niedergelegt? Wo steht es am deutlichsten im Symposion? Ich habe den flüchtigen Eindruck, dass die Wahrheit nicht so leicht in Besitz zu bringen ist. Sie muß immer wieder neu gefunden werden. Wir bedürfen der Wahrheit, um entscheiden zu können, was richtig und angemessen ist. Wer das will, wird die Wahrheit lieben, weil er an ihr Mangel leidet. Das mag sich am Ende als umwerfend schön erweisen, Schönheit allein kann aber, ebenso wie das Hässliche, ein Trugbild sein. Das ist mein vorläufiges Verständnis der Rede Diotimas.
Dass Beliebtheit nicht mit Sicherheit zur Wahrheit führt, meine ich aus der Stelle auf S.10 entnehmen zu können: Sokrates: „Das wäre eine schöne Sache, lieber Agathon, wenn es mit der Weisheit eine solche Bewandnis hätte, dass sie aus dem Volleren von uns in den Leereren hinüberflösse, wenn wir miteinander in Berührung kommen, gleichwie das Wasser durch einen Wollstreifen aus dem volleren Becher in den leeren hinüberfließt.“ An Alkibiades zeigt sich ja zuletzt, dass das so nicht funktioniert.
Dass er sich selbst nicht so wichtig nimmt und es ihm vor allem um die Wahrheit geht, zeigt die Stelle auf S.69: „Ich kann dir, lieber Sokrates, nicht widersprechen, habe Agathon erwidert; sondern möge es sich so verhalten, wie du sagst! Nicht doch, warf ihm Sokrates ein, sondern der Wahrheit vermagst du nicht zu widersprechen, mein teurer Agathon; mit dem Sokrates würde dir dies dagegen ein Leichtes sein.“
Dass die Suche nach der Wahrheit ein mühsames und riskantes Geschäft sein kann, in dem Sokrates davon abhängig ist, was die anderen tun, belege ich mit folgender Stelle (S.50): „Du hast eben deine Sache gut gemacht, mein Eryximachos; wenn du aber da ständest, wo ich jetzt, oder vielmehr wohl, wohin ich werde zu stehen kommen, wenn auch Agathon erst gesprochen hat, dann würdest du gar sehr fürchten und in der größten Not sein, ebenso gut wie ich jetzt selber.“
Ich hoffe, damit seinen Konflikt zwischen Wahrheit und Beliebtheit belegen zu können, solltest Du aber, Harmony, das Angeführte zur bescheidenen Pose eines Eitlen erklären, strecke ich machtlos die Waffen.
soooooo mein allerletztes Posting zum Thema Symposion, ich denke ich werde diesen Text nun beiseite schieben und mich anderem zuwenden,bin eben nicht so akribisch wie manch andere ..aufmunternd lächel
du magst Belege für die Lesart der Eitelkeit des Sokrates innerhalb des Textes Tan? nun gut ich lasse mich mal kurz aus:
Die Einladung des Sokrates an Aristodemos ungeladen zum Gastmahl mitzukommen ist ein erster Ansatz eitler Art
(PDF Seite 6 und 7)
"Doch du, fuhr er fort, was meinst du dazu, willst du ungeladen mit zum Gastmahle kommen? Und ich, sagte Aristodemos, erwiderte: Ganz wie es dir gut dünkt. Komm denn mit mir, entgegnete er, damit wir das Sprichwort zuschanden machen, indem wir ihm die Wendung geben, daß auch zu wackerer Männer Gastmählern wackere Männer ungeladen gehen. Denn Homeros scheint dies Sprichwort nicht bloß zuschanden gemacht, sondern auch verspottet zu haben. Während er nämlich den Agamemnon als einen vorzüglich wackeren Kriegsmann darstellt, den Menelaos aber als einen weichlichen Kämpfer, so läßt er doch den Menelaos ungeladen beim festlichen Opferschmause des Agamemnon sich einstellen, den Schlechteren bei dem des Besseren.".
(Sokrates will seine ihm zugetanen Freunde nicht als schlecht dastehen lassen seinesgleichen ist eben besser und kann nicht schlecht sein, so viel Eitelkeit muss sein.)
auf seite 7 unten ist weiter zu lesen:
"Da sei nun aber Sokrates unterwegs über irgend einen Gegenstand nachdenkend in sich selbst versunken zurückgeblieben, und da er auf ihn wartete, habe er ihn aufgefordert, nur vorwärts zu gehen. "
mhm Aristodemos kommt auf Weisung des Sokrates ungeladen mit zum Gastmahl und dieser zerstreute dessen Bedenken, dies könne ihm schlecht ausgelegt werden, doch statt Seit bei Seit zu gehen, bleibt Sokrates stehen und schickt den armen Aristodemos allein vor, er will ja keine Missgunst auf sich ziehen und wartet ab, lässt seinen Freund im Stich sozusagen
und weiter (S.8 und 9)
"Ich sagte daher, daß ich in der Tat mit Sokrates gekommen wäre, indem gerade er mich zu diesem Gastmahle eingeladen habe. Nun, das hast du recht gemacht, versetzte Agathon. Aber wo ist denn er selbst? ....Sokrates ist wieder zurückgegangen und steht in der Vordertüre eines Nachbarhauses und will trotz meiner Einladung nicht hereinkommen. .....Keineswegs, sondern laßt ihn gewähren! Denn das ist so eine Sitte, welche er an sich hat: zuweilen geht er abseits, wo es sich gerade trifft, und bleibt stehen. Er wird aber, wie ich denke, auch gleich kommen. Stört ihn also nicht, sondern laßt ihn gewähren! "
wenn das keine Narrenfreiheit ist, dem Sokrates wird jede offensichtliche Form der Unhöflichkeit nachgesehen, weil es ja Sokrates ist
" Agathon nun habe wiederholt geboten, nach Sokrates zu schicken, er aber habe es nicht zugelassen. So sei er denn von selbst gekommen, ohne lange gezögert zu haben, wie er sonst wohl zu tun pflegte, sondern höchstens seien sie halb mit der Mahlzeit fertig gewesen."
( oh erst halb fertig,ja so ein Essengelage dauert ja sicher nicht lang..feix, wie gnädig schon entgegen der sonst üblichen Verspätungen so "früh" zu erscheinen)
weiter im Text S. 10:
"Sokrates habe neben ihm sich gelagert und ihm erwidert: Das wäre eine schöne Sache, lieber Agathon, wenn es mit der Weisheit eine solche Bewandtnis hätte..."
(..aha er hält sich selbst für weise der gute sokrates)
und wir sind auf S.15:
"Niemand, lieber Eryximachos, habe darauf Sokrates bemerkt, wird dir entgegenstimmen. Denn weder ich dürfte mich weigern, der ich zugebe, auf nichts anderes als auf die Liebesangelegenheiten mich zu verstehen, noch auch Agathon und Pausanias, noch Aristophanes, dessen ganzes Treiben sich um den Dionysos und die Aphrodite dreht, noch überhaupt irgend einer von denen, die ich hier vor mir sehe. Freilich kommen wir, die wir zu unterstliegen, am schlechtesten dabei weg; indessen, wenn nur unsere Vorgänger recht befriedigend und schön gesprochen haben, so soll uns das genügen. So fange denn Phaidros in Gottes Namen an und preise den Eros! "
(how, Sokrates hat gesprochen, er versteht sich auf nichts anderem so als auf die Liebeskünste, klar ist ja gerade Thema und er ist eben in allen Themen der Beste und Weiseste... und insgeheim findet er es gut das letzte Wort zu haben ist doch logisch)
also ich hab keine Lust das gesamte Symposion dahingehend auseinanderzunehmen, könnte nun ewig so weitermachen und einige Beispiele lieferte ich ja bereits.
mhm der Sucher der Wahrheit ist nicht unfehlbar und ein kleiner eitler Mensch
ist doch ermutigend für uns alle, oder etwa nicht?
in diesem Sinne, das Symposion ist für mich erst mal beendet, anderes macht neugierig und damit werde ich mich beschäftigen
herzliche Grüße besonders an Angelia und Tan, der Austausch mit Euch ist eine Freude
Harmony, so hab ich das noch gar nicht gesehen! Also gut, Du hast gewonnen. Tatsächlich kann ich einiges daraus lernen. Womit beschäftigst Du Dich denn gerade? Ich könnte gerade auch etwas Abwechslung vertragen.
Beste Grüsse, Tan
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Ja, man könnte bis in alle Ewigkeit so weitermachen oder auch alles hinwerfen, weil es langsam langweilig wird oder weil es unterschiedliche Meinungen gibt, die anscheinend nicht hintergehbar sind, ohne dabei Tabus zu verletzen.
Ich räume ein, dass es so sein könnte, dass zwei Liebende vom Schicksal füreinander bestimmt sind. Für mich ist das eine offene Frage. Wir wählen doch alle bestimmte Leitvorstellungen für unser Dasein und versuchen sie wahr zu machen. Definiere ich damit die Orientierung an einer schicksalhaften Bestimmung um zu einem Modus, der frei wählbar ist und trickse damit mein Gegenüber aus? Absolut freier Wille oder totale Determination? Auch wenn vom eigenen Erleben wegabstrahiert wird, bei den ethischen Konsequenzen stellen sich die persönliche Fragen erneut. Diskutieren wir das doch woanders.
Ebenso räume ich ein, dass es nicht angemessen ist, Sokrates zum Superhelden zu machen und Aristophanes zum Buhmann. Das ist sicher eine Verfälschung, nehme ich auf meine Kappe. Die Frage, warum Platon seinen Sokrates so darstellt, speziell hier in der erzählten Erzählung einer Erzählung, verdient es ebenfalls, festgehalten zu werden.
Mit Agathons Rede und dem folgenden Wortwechsel wäre die letzte Schicht vor Diotima erreicht, und damit das Ziel dieses Threads, wenn auch nicht das Ende, falls sich noch jemand hierher verirrt und Anmerkungen hinterlässt. Ich hänge es gelegentlich noch dran, wenn niemand zuvorkommt. Der Zehnpfennig-Text enthält ja schon die wesentlichen Hinweise. Eigentlich wollten wir doch anhand Diotimas Rede etwas über die Philosophie erfahren? Vielleicht macht ja jemand neu auf damit.
Grüsse, Tan
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Agathon
Hält eine schöne Rede, „in welcher sich der Scherz mit dem nötigen Ernste […] vereinigt“ und erntet Beifallsjubel.
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Einleitung: Das richtige Verfahren für eine Lobrede ist, zuerst den Eros, wie er an sich beschaffen ist, und dann seine Gaben zu preisen.
1. Beschaffenheit: Eros ist der glückseligste von allen, weil er der schönste und beste ist.
1.1 Schönheit: Eros ist jung, weil er das Alter flieht und seine Herrschaft von der zu Grausamkeit neigenden Notwendigkeit erbt. Er ist zarter als die Verblendung, weil er nicht auf den harten Köpfen, sondern in den weichsten Gemütern und Seelen wandelt. Er ist ebenmäßig, geschmeidig und von edlem Anstand, weil sich die Liebe nur mit der Anmut verträgt. Er ist schön, da er unter den Blüten verweilt, blütenarme oder verblühte Leiber und Geister dagegen meidet.
1.2 Tugend Gewalt berührt den Eros nicht, denn freiwillig dient ihm ein jeder in jedem. So tut er weder Unrecht noch leidet er es, und ist daher gerecht. Er herrscht über die Lüste und Begierden, also ist er besonnen. Er hält Ares in der Liebe zu Aphrodite gefangen, also ist er der Allertapferste. Aus Eifer und Liebe zur Sache werden die Künste erfunden, also spendet Eros Weisheit. Die schöpferische Zeugung aller Lebewesen entspringt seiner Weisheit. Man kann nur geben, was man selber hat, also ist Eros weise.
2. Gaben Im Hässlichen waltet der Eros nicht. Seit er geboren war, erwuchs aus der Liebe zum Schönen alles Gute für Götter und Menschen: Frieden, Freundschaft, Vertraulichkeit, Mildheit, Wohlwollen, Huld, Wohlleben, Pracht, Kostbarkeit, Anmut, Reiz, Verlangen, Beistand, Hilfe, Rettung, Zier, Führung, Bezauberung.
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Allgemeines Konstruktionsmerkmal: „gleich und gleich gesellt sich gern“. Enthält den platonischen Tugendkatalog, wie nett. Die Besonnenheit scheint ein wenig zu hinken, nicht wahr?
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Last Orders
Sokrates hält eine Vorrede: Die Schönheit von Agathons Vortrag ist nicht zu überbieten, da er seinem Gegenstand das Größte und Schönste zugeschrieben hat, ohne Rücksicht darauf, ob es wahr ist oder nicht. Er wird darin nicht fortfahren, sondern, falls erlaubt, in beharrlicher Einfalt die Wahrheit sagen über das, was er loben will, und auf dieser Grundlage das Schönste auswählen und es möglichst angemessen anordnen.
Die Runde fordert ihn auf, so zu reden. Phaidros gestattet einen Wortwechsel mit Agathon.
Wortwechsel Sokrates/Agathon:
Liebe ist erstens Liebe zu etwas, und zweitens zu dem, woran sie Mangel leidet. Der Mangel ist notwendige Voraussetzung des Begehrens. Wer das Vorhandene begehrt, will es auch in Zukunft besitzen. Auch dieser Begehrende begehrt also „nach dem, was noch nicht in seiner Gewalt steht und für ihn noch nicht vorhanden ist und was er nicht besitzt und was er nicht ist und wessen er ermangelt, und von dieser Art ist alles das, worauf Begierde und Liebe gerichtet sind."
Das Schöne wird geliebt, zum Hässlichen gibt es keine Liebe. Liebe ist also immer Liebe zur Schönheit, nicht aber zur Hässlichkeit. Folglich entbehrt der Eros der Schönheit und besitzt sie nicht. Das Gute ist schön. Wenn also der Eros des Schönen ermangelt, das Gute aber schön ist, so ermangelt er auch den Guten.
Agathon stimmt all dem zu. Der Wahrheit kann er nicht widersprechen. Trotzdem war seine Rede schön.
Diskussionsangebote Liebe ist eine Relation. A kann B und C lieben, und auch D kann B und C lieben. A liebt B, weil B etwas hat, das von A begehrt wird.
Das was A begehrt könnte eine Substanz sein oder auch eine Eigenschaft (z.B. der Eigenschaft, an einem bestimmten Prozess teilzuhaben) - ist damit das Feld dessen, was begehrt werden kann, vollständig abgedeckt?
A leidet Mangel an etwas, sonst würde er es nicht begehren. Dieses Etwas findet er durch Hinwendung zu B. Möglicherweise hat auch A etwas für B Begehrenswertes, in diesem Fall ist die Relation wechselseitig.
Die Hinwendung zur Quelle dessen, was dem Begehrenden fehlt, ist Mittel zum Zweck, einem Mangel abzuhelfen. B kann selbst das Begehrte sein, oder auch das Begehrte vermitteln. Die Liebe ist Erfüllung eines Begehrens. Das Vorhandene zu begehren, bedeutet, diese Erfüllung auch für die Zukunft zu begehren.
Da der Mangel die Liebe bedingt, wohnt der Eros im Liebenden und teilt seine Bedürftigkeit. Die Relation geht von dem aus, der Mangel leidet, nicht von der Fülle dessen, was geliebt wird.
Im „Mangelmodell" gibt es also nur dann eine polare Anziehung der Gegensätze, wenn mindestens ein Pol etwas „hat", was dem Gegenstück fehlt.
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„Begehren", der Einsatz von „Mitteln", um einem Mangel abzuhelfen und „Besitz von" oder „Gewalt über" erfordern Bewusstsein und planenden Willen. Das Mangelmodell funktioniert aber auch unter Vernachlässigung von Absichten oder bewussten Zielvorstellungen. Es funktioniert sogar entgegen bewusster Absichten, z.B. der Absicht 10 Minuten lang die Luft anzuhalten. Hunger, Durst und Einsamkeit beschreiben Mangelzustände. Völlig isolierte Menschen zeigen bald psychische und als Folge davon körperliche Störungen, auch wenn ihnen sonst nichts fehlt. Umgekehrt ist ein Mangel an Vertrautheit oder an Rückzugsmöglichkeiten bei massenhaftem Kontakt ebenfalls ungesund. Der Mangelbegriff berührt die Selbsterhaltung von Systemen unter sich ändernden äußeren Bedingungen.
Hier taucht die Frage nach einem „höheren Willen" auf. Es ist möglich, die Absichten und Zielvorstellungen einem höheren Wesen zuzuschreiben. Dann hätte z.B. „die Natur" etwas „weise eingerichtet", wenn eine einzellige Grünalge aktiv einen gut beleuchteten Ort besetzt, um einen günstigen Zustand für ihren Stoffwechsel zu erreichen und zu halten. Dass die Alge selbst das „will", wird wohl niemand behaupten, oder doch? Es geht die Rede, die „Natur" würde unter massenhaften Opfern „lernen". Andere reden von Anpassung, Selektionsdruck und Evolution.
Es wäre auch möglich, aus den Eigenschaften der Materie ein Modell zu entwickeln. Dann wäre z.B. nach dem Bohrschen Atommodell die Eigenschaft des Natriums und des Chlors, sich durch Austausch eines Elektrons gegenseitig zur Edelgaskonfiguration zu verhelfen, ursächlich dafür, dass Natrium in Chloratmosphäre zu kubisch-kristallinem Kochsalz verbrennt. Warum soll man bei einer derart allgemeinen Definition des Eros die Chemie nicht als Liebeslehre der Elemente betrachten dürfen? Das naturwissenschaftliche Modell ist heute in der Lage, „von unten herauf" alles an unserer Grünalge vollständig und lückenlos zu beschreiben und zu erklären.
Fährt man mit dieser ungezügelten Betrachtung fort, erweist sich der Eros als kosmische Urkraft, auf die scheinbar jede Wechselwirkung oder Interaktion zurückzuführen ist als vermittelte Bewegung auf einen günstigen Zustand hin.
Das ist zwar einerseits höchst beeindruckend, andererseits fällt es mir schwer, das Gute und Schöne darin zu erblicken, dass ein Rudel Hyänen eine kränkelnde Antilope bei lebendigem Leib in Stücke reißt. Es ist eben so. Warum muss ich darauf ein menschliches Werturteil anwenden? Ist es nicht etwas sonderbar, das als erotische Beziehung zu deuten? Vielleicht ist die Antilope in den Augen einer Hyäne ein schönes Stück Beute. Vielleicht ist die erfolgreiche gemeinsame Jagd in ihren Augen das höchste Gut. Kein Mensch kann wissen, wie es ist, eine Hyäne zu sein, oder doch? Sie hat Bewusstsein. Hat sie auch einen planenden Willen?
Es gibt Leute, die das Bewusstsein als wirkungslosen Nebeneffekt betrachten. Von diesem Standpunkt aus gibt es keinen besonderen Unterschied zwischen der Grünalge, der Hyäne und dem Menschen. Falls Naturwissenschaft eines Tages das Bewusstsein „von unten herauf" vollständig und lückenlos beschreiben und erklären kann, so hängt davon nicht viel ab, da es die entscheidenden Vorgänge nur spiegelt, ohne sie zu beeinflussen.
Nimmt man hingegen an, dass Bewusstsein Einfluss auf physische Ereignisse hat und es innerhalb bestimmter Grenzen Entscheidungsfreiheit gibt, dann ist es für uns als MENSCHEN von grundlegender Bedeutung, welche Begriffe wir uns von der Wahrheit, dem Guten und dem Schönen machen und in welches Verhältnis wir sie zueinander setzen.
Wie es aussieht, markiert dieses Dreigestirn das höchste, was wir erstreben können. Sieht man sich an, was bereits alles im Namen dieser Drei geschehen ist, könnte man auf die Idee kommen, sich besser nicht gleich unkritisch davor auf die Knie zu werfen. Wenn wir es feiern wollen, sollten wir uns zuvor fragen, was das WGS bei Sokrates/Platon genau bedeutet, und was wir davon halten. Wir laufen sonst Gefahr, selbstzufrieden in einer philosophischen Idylle den Mangel zu feiern.
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Das Schöne: Bei Agathon war Schönheit das Junge, Zarte und Anmutige. In Sokrates’ Entgegnung scheint das Schöne fallweise genau das zu sein, was wir aufgrund unseres Mangels haben und behalten wollen. Ein sehr umstrittener und (für mich) schwieriger Begriff, der auf die Ästhetik und die Künste führt. Agathons Rede war schön, stand aber im Widerspruch zur Wahrheit. Die Schönheit der Form garantiert nicht die Richtigkeit des Inhalts. Eros ist nicht der Glückseligste, der Schönste und der Beste, sondern er strebt danach. Agathon hat hier also nicht etwas Wahres gesagt und es nur falsch begründet, sondern seine Rede ist trotz aller Schönheit in der Hauptaussage falsch, wie er bereitwillig einräumt.
Das Gute: Bei Agathon zeigt sich das Gute in den vier Tugenden Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit und Weisheit. Laut Sokrates ist das Gute immer auch schön. Diese Sicht erfordert ein gerüttelt Maß an Einsicht, sie ergibt sich nicht gerade von selbst. Vieles, was gut ist, erscheint ja zunächst als „notwendiges Übel“. Und tatsächlich bestimmt Sokrates als höchstes Gut (im antiken Verständnis „Glückseligkeit“) die Einsicht. Bei Platon ist es ein tugendhaftes Leben, sagt das Lexikon. Für uns „Moderne“ gibt’s ja inzwischen Menschenwürde und dergleichen. Übrigens steht in den Blättern für deutsche und internationale Politik 8’04 ein schöner Artikel von Heiner Bielefeldt: „Folter im Rechtsstaat“. Hat jemand Lust, darüber zu reden?
Das Wahre: Tja. Erkenntnislehre. An die Genossen von „Hermeneutik oder Logik der Forschung“: seid doch bitte nicht so exklusiv und sagt gleich, dass man Dilthey und Popper lesen soll! Ich beantrage Rosen und Brot für alle und einen AK „Was ist Wahrheit“. Ein Schriftkundiger möge sich erbarmen und mir in Platons gesammelten Werken die wichtigsten für dessen Wahrheitsbegriff relevanten Stellen nennen. (Sonst dauert es wahrscheinlich etwas länger).
Hallihallo, aber bitte nicht Halali, denn vom Ende der Jagd auf die Wahrheit kann noch nicht die Rede sein: Nach einer abendlichen Lektüre des Symposions, also nicht nur der Rede der Diotima, unter dem leichten Einfluss portugiesischen Rotweins möchte ich folgende Thesen zur Diskussion stellen (bei Bedarf wäre dann am Text zu arbeiten, wobei mir mal jemand sagen könnte, wo denn die genannte pdf zu finden ist): 1. Die Rede (besser: Ausführungen) der Diotima bezieht sich vielfach auf die vorhergehenden Reden; diese sind also als Folie mitzulesen (z.B. des Pausanias Zweiteilung des eros und deren Ablehnung zugunsten einer Dreiteilung mit einem dämonischen Mittleren). 2. Die "Belehrung" durch Diotima erlaubt dem Sokrates, auf Begründungen zu verzichten und so eben die "wahre Meinung" vorzutragen. 3. Es geht im Symposion nicht um "Liebe", wie man nach dem schönen Mythos des Aristophanes meinen könnte, sondern um jedes erotische Handeln, vornehmlich um das Philosophieren. 4. Mir fällt die Silenen-Nähe oder -Gleichheit von Sokrates und eros auf; die Passage nach dem Bericht des Sokrates ist von Bedeutung, weil dort diese Nähe dargestellt wird. 5. Meine These lautet: Das "Fazit" des Symposions (sofern es dergleichen geben kann) ist die Einsicht, dass Philosophieren im Stil des Sokrates der menschliche Weg zur Unsterblichkeit ist, für den Philosophielehrer ebenso wie für den Schüler.
Dritter Blick aufs „Gastmahl“ Höhepunkt der vielen Reden ist die der Sokrates-Diotima, also der von Sokrates vorgestellten und referierten Diotima; in dieser Rede werden viele Äußerungen der Vorredner zum Teil kritisch aufgegriffen: dass das dem Menschen (auch philosophisch) mögliche Wissen ein Mittleres zwischen Irrtum und Wahrheit ist, dass EROS ein großer Gott sei (Phaidros), dass es einen doppelten EROS gebe (Pausanias), dass der zwiefache EROS in allen Bereichen walte (Eryximachos), dass die Seherkunst mit den Göttern verbinde oder vermittle (ders.) und Glükseligkeit verschaffe, dass EROS darauf aus sei, die fehlende Hälfte zu finden (Aristophanes), dass aus EROS zum Schönen alles Gute erwachse (Agathon); anderseits wird in des Alkibiades Lobrede auf Sokrates das Thema vom dämonischen Mann aufgegriffen. Die Form der Rede: der Verzicht auf eigene Einsicht zugunsten eines Referates der Belehrung durch diese überaus weise Frau, erspart dem Sokrates die Beweisführung und die Diskussion, wie er sie kurz im Examen des Agathon exerziert (199 ff. St.; hier wie später halte ich mich an die Stephanus-Zählung). Die vielfältige Vermittlung der Einsicht, wie sie im Verhältnis Agathon-Sokrates analog Sokrates-Diotima thematisiert wird (201), ist selber „erotisch“. Wenn man den „Ertrag“ der Rede der Sokrates-Diotima aufzeigen will, ergibt sich Folgendes: 1. Der Begriff des Dämonischen als eines Mittleren wie Vermittelnden wird konzipiert. Dämonisch sind - EROS, der zwischen Göttern und Menschen vermittelt, „so daß das All ein festgefügtes Ganze ist“; - der dämonische Mann, der in diesen Dingen Bescheid weiß (wie Sokrates, sagt Alkibiades); - der Philosophierende (wie man an Alkibiades sehen wird), wie ja auch EROS Philosoph ist. 2. Der Begriff EROS muss umfassend erweitert werden: Jedes Streben in allen Bereichen ist EROS. 3. Ziel des EROS ist die Zeugung im Schönen: a) Zeugung ist etwas Ewiges; sie ist die Weise, wie sich das Sterbliche erhält; b) denen es auf die Seele statt bloß auf die Körper ankommt, die wollen Weisheit und Tugend vermitteln (wie man später am Verhältnis Sokrates-Alkibiades demonstriert bekommt); c) über die Zweiteilung des körperlichen und seelischen EROS hinaus kann eine Stufenleiter der erotischen Erkenntnis des Schönen gedacht werden (210); d) diese führt auf das eine Schöne. [Diese Idee von der Stufenleiter und dem Einen müsste noch untersucht werden: was sie besagt, worauf sie hinausläuft. Die darin skizzierte „Unsterblichkeit“ ist den Menschen ja gerade nicht zugänglich, vgl. 206/08 mit 212!] In der Rede des Alkibiades wird Sokrates charakterisiert, von dem man wegen seiner Einzigkartigkeit nur in Gleichnissen sprechen kann: Er ist ein wahrhaft dämonischer Mann (219), wie sich in seinem Verhalten gegen Alkibiades, seiner Wirkung auf ihn (216 ff.) und allgemein in seinem Lebenswandel zeigt (220 f.); Sokrates ist somit Prototyp des von Sokrates-Diotima entworfenen EROTikers, der wahre Philosoph.