Die schlechte Nachricht zuerst: ich bin ein wenig betrübt, dass Landmanns Aufsatz so schwer zu bekommen ist, die Gute, ich habe trotzdem nachgedacht. Ich bin es nämlich leid die Decks zu schrubben und möchte endlich mal die Erlaubnis vom Meister der Bootsklassen in den Ausguck zu klettern.
>Ich möchte es wirklich streng denken: Klarheit gewinnen, ohne damit einen letzten Anspruch auf "Wahrheit" (für andere) zu verbinden<
Wenn wir streng denken möchten steht die Frage im Raum, was können wir wissen? Ist nur das Wahr, was ich objektiv beweisen kann oder gibt es etwas darüber hinaus, was wahr ist aber nicht beweisbar.
Ich würde zu gern den Gott der Kirchen aus dem Spiel lassen und mich am liebsten davor drücken. Ich bin nicht im Glauben an eine Religion erzogen worden. Ich war statt dessen in der Natur unterwegs und den unterschiedlichsten Sinneseindrücken ausgeliefert.
Wenn wir beide die Protagonisten in diesem Beispiel sind und du Klarheit, dass es keinen Gott gibt, rational für dich anhand von Büchern im Schein der Leselampe gefunden hast, ich hingegen durch Anschauung der Natur zwar keinen Gott getroffen habe, dafür aber anhand der Sinneseindrücke zu dem klaren Schluss komme, dass es doch so etwas wie eine höhere ( göttliche) Instanz geben muss, würde es ja reichen, wenn wir dem anderen gegenüber schlicht und ergreifend tolerant sind.
Du brauchtest den Schein der Leselampe nicht zu verlassen, ich könnte mich weiter den Sinneseindrücken der Natur hingeben. Wir könnten jeder für sich zwar, aber trotzdem friedlich, nebeneinander herleben...
Kant hat Königsberg ja auch so gut wie nie körperlich verlassen....
Der Haken ist nur, das Wesen, das manche Gott nennen, hat dir außer dem Hirn/ Ratio Sinnesorgane gegeben und mir außer den Sinnesorganen auch noch das Hirn.
Würde ich mein Hirn nicht nutzen, würde ich nie auf die Idee kommen, dass Sinneseindrücke auch täuschen können. Würdest du Sinneseindrücke ignorieren, würdest du nicht auf die Idee kommen, dass rationales Wissen auch Grenzen haben könnte. Wir würden zwar beide nicht dem Zweifel und den damit verbunden Fragen ausgesetzt sein, aber auch nicht erkennen, dass unsere Klarheit womöglich gar nicht so klar ist.
Wie kann Klarheit ohne Erkenntnis zustande kommen?
Kant hat zwar Königsberg kaum verlassen, hat aber seine “Höhle” des aufklärenden Rationalismus ( habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen ) in einer kritischen Distanz in Zweifel gezogen und neben dem Verstand auch die Anschauung und die Sinneswahrnehmung als Quelle der Erkenntnis in Betracht gezogen.
Ich würde mal sagen Alban, im Angesicht Kants haben wir beide jetzt wohl ein Problem
natürlich darfst du in den Ausguck, aber pass bitte auf: Da oben wird einem leicht schwindelig! (Es wäre bestimmt lustig zu spekulieren, ob das überhaupt ein Platz für Frauen ist, allein schon um die Fanatiker der p.c. zu ärgern, aber das tun WIR [pluralis majestatis] jetzt nicht!) Ich folge also deinen Gedanken bis zum lustigen , danach nicht mehr. Was den Grund der Klarheit betrifft, sind wir bei unserem Freund Sokrates (dem platonischen vom Symposion) in bester Gesellschaft; besagter Freund erzählt nämlich einfach, er habe sein Wissen von einer weisen Frau namens Diotima empfangen, und stiehlt sich damit aus der Verantwortung, die Lehren dieser Frau beweisen zu müssen. Woher aber weiß er, das sie weise ist oder war? Er behauptet einfach, sie sei in allem kundig gewesen; konkret nennt er dann die Tatsache, dass sie den Athener zehn Jahre Schonung vor der Pest gesichert hat. Das ist dann auch mein Kriterium, dass meine Klarheit "wahr" ist: Sie hat mir erlaubt, von meiner "Gottesvergiftung" (Titel eines Buches von Tilman Moser, Suhrkamp 1976) zu genesen (vielleicht), zumindest mit den Restspuren der Vergiftung leben zu können. Wenn ich mich recht entsinne, habe ich das in kleinen Aufsätzen in der RubriK "Philosophie" in meinem blog http://www.20six.de/norberto42 dargestellt: Warum wollen wir die Wahrheit wissen? und: Warum betreiben wir Philosophie (oder so ähnlich)? Der Schein meiner Leselampe fällt also auch auf mein Leben, nicht nur auf Buchseiten. Mir scheint, dass du unseren Freund Kant hier zu Unrecht bemühst: Sinneseindrücke führen nur als gedeutete zu Zweifeln an bisherigen Deutungen von Sinneseindrücken; Klarheit ohne Erkenntnis kann es nicht geben, wohl aber ohne für alle schlüssig beweisbare Erkenntnis. Wenn du dann den Wahlspruch des aufklärten Denkens zitierst, so hat der erst recht nichts mit dem erkenntnistheoretischen Streit über Sinneseindrücke/Verstandesleistung zu tun; der Akzent liegt auf "eigen": Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, direkt umschrieben: ohne Anleitung eines anderen (d.h. durch einen anderen) - was nicht heißt, dass unser Gespräch nicht "aufgeklärt" wäre! Anleitung heißt: vorschreiben, wie zu denken ist; nach unverstandenen Regeln zu denken lehren usw. Wenn man Kants Aufsatz liest und nicht nur den Titel zitiert, ist das klar.
So, mein lieber Obermaat Angelia (aber die Maate klettern nicht, erst recht nicht der Kapitän! Die lassen klettern! Setzen sie nur die Sinneseindrücke der Matrosen in nautisches Handeln um, oder deuten sie diese vielleicht auch?): Was siehst du im Ausguck? Land in Sicht? Gar Königsberg, oder Athen? Sollen wir den Anker werfen, damit wir nicht Schiffbruch (mit oder ohne Zuschauer) erleiden? Alban
Was ich vom Auskuck aus sehe? : Das habe ich gefunden:
Und frische Nahrung, neues Blut saug ich aus freier Welt; Wie ist Natur so hold und gut, die mich am Busen hält! Die Welle wieget unsern Kahn im Rudertakt hinauf, und Berge, wolkig himmelan, begegnen unserm Lauf.
Aug, mein Aug, was sinkst du nieder? Goldne Träume, kommt ihr wieder? Weg, du Traum! so gold du bist; Hier auch Lieb und Leben ist.
Auf der Welle blinken tausend schwebende Sterne, Weiche Nebel trinken rings die türmende Ferne; Morgenwind umflügelt die beschattete Bucht, und im See bespiegelt sich die reifende Frucht.
( Goethe - das weißt du sicher, aber ich will nur nicht, das hier jemand auf die Idee kommt ich könne so dichten )
Ich habe einmal ein Zitat von einem Künstler gelesen, er wurde befragt, was er denn mit einem speziellen Bild oder einem Gedicht aussagen wolle. Er antwortete, ich male oder schreibe doch nicht, damit sich die Menschen den Kopf darüber zerbrechen, was ich damit aussagen will, sondern damit ihre Ideen und Gedanken angeregt werden....
... mehr kann ich hier auch nicht tun, ich will es auch nicht. Wir sollten Anker werfen Alban, da drüben ist eine Insel. Philosophie rüttelt zwar, soweit ich weiß, an der scheinbaren Sicherheit von Wissen und Erkenntnissen, aber nicht, um im Regen stehen zu bleiben, sondern um u.a. auf das Beste, was unter den gegebenen Umständen möglich ist, zu kommen. Ich reise nicht auf dem Meer ( mal abgesehen davon das ich eh seekrank werde ;-) ) des Reisens wegen, ich denke nicht des Denkens zu liebe oder zweifle des Zweifels zu liebe, sondern ich möchte das Beste was möglich ist. Was sollen wir nun machen auf der Insel? ( im Forum? )
Und der Schiffbruch oder das Scheitern, je nachdem, scheint dem Leben eingeben. Können wir wissen ob wir scheitern werden?
Und weil es mir so gut gefällt - mein Lieblingszitat: wir können nicht wissen was das Schicksal mit uns vor hat, wir können nur entscheiden was wir mit der Zeit anfangen die uns gegeben wurde.
Liebe Angelia, mit "Obermaat" habe ich dich vielleicht zu wenig befördert, da der Maat (habe ich eben nachgeschaut) nur ein Gehilfe des Steuermanns ist; aus meinen Abenteuerbüchern früher hatte ich von dem ein besseres Bild, muss ich sagen. Das Goethe-Gedicht kenne ich gut, sogar ziemlich gut... 20. Junius, Aufm Zürichersee, intensiv analysiert (Das kann man sogar mit Gewinn tun!) Zu den Gedichten des jungen Goethe ist da Buch von Klaus Weimar ganz gut, wenn du dich nicht mit den Analysen von norberto42 begnügen willst. Tja, die Fahrt scheint zu Ende zu gehen - es sei denn, du würdest nun noch die Frage beantworten: "Warum wollen wir die Wahrheit wissen?" Da fällt mir doch gleich unser Freund Nietzsche ein: "Warum überhaupt Wahrheit...?" Gruß, albanero
P.S. Falls dich die gestellte Frage interessiert, könnten wir von meinem Aufsatz vom 26. September 2003 (unter "Philosophie" in meinem blog) ausgehen. Interessant ist auch Otto F. Bollnows Buch "Philosophie der Erkenntnis", Bd. 1, 1970 = 1981 bei Kohlhammer: eine Einführung in der Tradition der Lebensphilosophie, auf hermeneutisch-anthopologischer Grundlage; dort wären v.a. die Kapitel ab Kap. V interessant, obwohl man natürlich die vorhergehenden kennen muss: Die Anschauung, Die Meinung, Die Auslegung des Vorverständnisses, Die Tatsachen, Die Erfahrung, Die Lebenserfahrung. Alban/ero
Ach, ob ich nun den Titel Obermaat - Maat - oder Untermaat habe ist doch nicht so wichtig ;-) Ich will eh nur ich sein und vielleicht ist das eine erste Spur wenn ich der Frage nach gehe - warum überhaupt Wahrheit... Aber nicht heute Abend. Ich denke es ist eine gute Idee deinen Aufsatz als Grundlage zu nehmen - würdest du den Text diesem Forum zur Verfügung stellen? Ich würde mich freuen.
Ich kenne deinen Web - log Norberto42 schon länger, da wusste ich noch gar nicht, dass du Alban bist und ich schätze deine Seite sehr.
Das du Goethes Gedicht so gut kennst wusste ich allerdings nicht, mich interessiert deine Analyse sehr..... das Lagerfeuer brennt, der Himmel ist sternenklar und ich in gespannter Stimmung zuzuhören.
Hallo Angelia, ich hatte mich vertan, die alte Überschrift ist "15. Junius..."; du zitierst die überarbeitete Fassung "Auf dem See". Eine Analyse findest du bei mir unter "Lyrik / Gedichtanalyse" am 25. Mai 2004. Der junge Goethe gehört zu meinen Standardautoren in der Schule, er war ein große Wende in der deutschen Literatur. Ich komme mir ein bisschen blöd vor, wenn ich hier einen alten Aufsatz vorsetze; wenn, dann würden wir am besten unter "Diskurse" ein neues Thema aufmachen, mit der genannten Fragestellung. Vielleicht könnten wir auch das von mir genannte Buch Bollnows einbeziehen? Das fiele dann wieder evtl. unter "Phil. Lektüre". Das Buch hat übrigens in seiner 2. Auflage die ISBN 3-17-007374-5; ob es noch antiquarisch zu haben ist (normal bestimmt nicht mehr - falls doch, würde ich einen Vermerk machen), weiß ich nicht. Alban
Ich denke es ist eine gute Idee unter Diskurse ein oder sogar 2 neue Themen zu eröffnen. Ich habe deinen Aufsatz zu Goethe: 15. Junius 1775, aufm Zürichersee Ich saug' an meiner Nabelschnur Nun Nahrung aus der Welt.....
gelesen. Z.Z höre ich unterwegs ein Hörbuch - Große Goethe Interpreten Universal 981 - 593 -6. Mich interessieren Interpretationen Goethes sehr. Zumal ich gerade über den Text Wirkung in die Ferne grüble.
Dies wäre eine Möglichkeit für ein neues Thema und da es gar nicht so einfach ist ein Gedicht zu verstehen denke ich, dass auch Aspekte wie von dir erwähnt : >Die Anschauung, Die Meinung, Die Auslegung des Vorverständnisses, Die Tatsachen, Die Erfahrung, Die Lebenserfahrung < einer Betrachtung lohnen.
Die zweite Möglichkeit und ich denke die obigen Punkte fallen mit den Grundlagen der Philosophie zusammen, wäre dann auch darüber zu sprechen. Ich kann mir das Buch >Otto F. Bollnows Buch "Philosophie der Erkenntnis", Bd. 1, 1970 = 1981 bei Kohlhammer: eine Einführung in der Tradition der Lebensphilosophie< besorgen, dann muss ich es erst noch lesen, während ich lese kann ich meistens aber nicht schreiben. Ich weiß nicht warum es so ist, aber es ist so. Ich habe das Buch von Werner Schneiders - Wieviel Philosophie braucht der Mensch - aus der Beck´schen Reihe. ISBN 3406421687 Es steht u.a. auch grundlegendes über die Wahrheit drin und ich denke, es ist als Einstieg in die Philosophie gut geeignet.
Sollen wir uns denn zusammen an einen gemeinsames Thema über die Wahrheit - warum überhaupt Wahrheit versuchen? Ein bisschen Struktur wäre vielleicht nicht schlecht
Hallo Angelia, du schreibst: Ein bisschen Struktur wäre vielleicht nicht schlecht... Was meinst du damit? Ich kann also durchaus meinen alten Aufsatz, warum wir an der Wahrheit interessiert sind, hier zur Diskussion stellen; wir können aber aber auch an Bollnows Buch entlang gehen (ist es denn noch greifbar? Ich habe es weder als bestellbar noch antiquarisch greifbar gefunden - aber das heißt vielleicht nichts). Wenn du den Bollnow hast, liest du ihn relativ schnell runter, er schreibt einfach; man kann ihn auch kapitelweise lesen, wie ja auch nauplios und temp ihren Blumenberg kapitelweise besprechen. Ich erwarte deine Vorschläge, als der alte Kapitän Alban
P.S. Eben wollte ich meinen Aufsatz "Warum wollen wir die Wahrheit wissen?" unter "Diskurse" zur Debatte stellen - aber meinst du, ich kriegte einen thread eröffnet?
die gute Nachricht zu erst, ich habe mir das Buch von Bollnow bestellt. Wenn alles gut geht habe ich es bis Mitte nächster Woche. Ich werde es zunächst ganz lesen um den Kontext zu verstehen und wenn du Lust hast, können wir es gern Kapitelweise besprechen.
Mit Struktur meine ich, für die Philosophie wesentliche Punkte zu besprechen, wie eben Wahrheit und Erkenntnis und ich denke es macht Sinn dafür ein neues Thema zu eröffnen. Wie du ja angeregt hast unter phil.Diskurse.
Ich habe mir die Aufsätze zum Thema - worum es beim philosophieren geht - und - warum wollen wir die Wahrheit wissen - ausgedruckt. Ich denke schon, dass man diese beiden Aufsätze als Grundlage eines Diskures nehmen kann.
Ich erachte es als sehr zeitgemäß, im Hinblick auf Terror im Namen von Ideologien, über das ermitteln von Wahrheit und Irrtümern in denen wir befangen sind zu sprechen. Ich lese gerade Sakrileg von Dan Brown, ein spanender Thriller. Auch wenn ich Verschwörungstheorien mit einer gewissen Skepsis gegenüber stehe ist mir schon bewusst, wie determiniert unsere Welt durch Ideologien sein kann.
Einer von uns Beiden könnte versuchen einen Eingangstext zu - warum Wahrheit - zu formulieren oder wir nehmen gleich einen deiner Aufsätze. Vielleicht regt das den ein oder anderen ja an auch etwas zu diesem Forum bei zutragen. Auch wenn meine Hoffnung, dass sich andere zu einem vernünftigen Diskurs motivieren lassen, sich in Grenzen hält, habe ich sie noch nicht aufgegeben. Man weiß ja nicht ob Nauplios noch Lust hat dieses Forum weiter zu betreiben, falls sich nur sehr wenige beteiligen )
Also Vorschlag: 1. neues Thema eröffen: Warum Wahrheit - Erkenntnis auf der Basis eines Eingangstextes ( wie auch immer neu formuliert oder einen deiner Aufsätze)
2. Thema: Besprechen der einzelnen Kapitel des Bollnows sobald ich es habe.
Wären das zwei sinnvolle Motivationen die Anker zu liften und Segel zu setzen Kapitän?