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Dieses Thema hat 2 Antworten
und wurde 1.335 mal aufgerufen
 Philosophische Lektüre 1
isabelle Offline



Beiträge: 4

17.10.2004 22:07
Eros und Götterbilder Antworten

Will man sich mit heutigen Augen den platonischen Eros verstehen, so gilt es alles, was dem geistig-seelischen Entwicklungsstand des Menschen der griechischen Klassik zukommt und für uns heute als überholt zu gelten hat, zu erkennen und beiseite zu lassen.
Wenn Diotima den Eros als Daimon bezeichnet und ihm eine Mittlerrolle zwischen den Göttern und den Menschen zuerkennt, dann verwendet sie zwar traditionelle mythische Bezeichnungen und Bilder, meint aber auch schon das, was dieser „Erreger“ wie er bei Parmenides genannt wird, jenseits seines Wirkens in der Natur im Menschen selbst erregt, nämlich eine geistig-seelsiche Bewegung von innen heraus, die als Psyche bezeichnet, noch im Jahrhundert davor ausschließlich das Blut meint. Damit ist ein wichtiger Schritt vom ausschließlich auf das sinnlich Wahrnehmbare fixierte mythische Geistesleben hin zu einer befreiten Wahrnehmung der eigenen unsinnlichen Geistigkeit geschafft. Der Mensch wird so in die Lage versetzt, Distanz zur Natur und Nähe zu sich selbst zu schaffen.

Die Analytische Psychologie des letzten Jahrhunderts hat auf Grund ihrer empirischen Forschungen festgestellt, dass in der Psyche des Menschen eine bewusstseins-unabhängige inneren Bewegtheit mit einer ihr eigenen Zielgerichtetheit und Gesetzmäßigkeit wirksam ist. Ähnlich „erregend“ verhält sich der platonische Eros in der Seele des Menschen. Die Rede des Alkibiades im Symposion dokumentiert, dass auch die Götterbilder nicht mehr draußen, sondern im Menschen zu finden sind. Dies ist eine weitere Befreiung des Menschen. Nun muss man Naturereignisse nicht mehr als Willensbekundungen der Götter interpretieren, sondern kann – was ja dem platonischen Streben nach Wissen entgegenkommt Naturobjekte, -ereignisse und -prozesse mit den eigenen geistigen Mitteln ergründen und erklären. (vgl. die Vorsokratiker] Und mehr noch, indem man die Bilder der Götter, im Menschen suchen und finden und kommt man ihrem eigentlichen Sinn ( z.B. im Höhlengleichnis) einen weiteren Schritt näher.

Ob es zutrifft, dass Eros und Götterbilder wie an Sokrates beispielhaft verdeutlicht, auch in unserem Inneren zu finden sind, wird gemäß des Rates des Sokrates nur durch Selbsterkenntnis herauszufinden sein. „An jenem Ort der Seele, wo Lebenskraft, Vernunft und Wissen ihren Sitz haben, wird der Mensch sich selbst erkennen.“, erklärt Sokrates im Gespräch mit dem erst zwanzigjährigen Alkibiades. (Platon: Alkibiades I, letzter Abschnitt)

gruß
isabelle

Nauplios ( Gast )
Beiträge:

22.10.2004 02:12
#2 RE:Eros und Götterbilder Antworten

Hallo Isabelle!

Du sprichst im Zusammenhang mit dem platonischen Eros einen Prozeß an, der - als "Befreiung" verstanden - vom "mythischen Geistesleben" zur Distanzierung von der Natur und zur "Nähe zu sich selbst" führt. Naturereignisse werden dann nicht mehr als Indikatoren göttlicher "Willensbekundungen" interpretiert, sondern können mit Mitteln der - eigenen - Vernunft erklärt und damit entzaubert werden.

Seit Wilhelm Nestle hat sich für diesen Prozeß ja die Formel Vom Mythos zum Logos eingebürgert. Dabei wird die Entwicklung hin zum Logos auch als Fortschritt gedacht - weg von einem dogmatischen und quasireligiösen Denken hin zu einem befreienden Aufklärungsparadigma. Diese Auffassung eines Fortschritts, eines "Fortsprungs" vom Mythos zum Logos verkennt aber, daß die eigentliche Funktion des Mythos ja weniger darin besteht Dinge zu erklären oder Unverständliches verständlich zu machen, sondern darin, Orientierungssinn zu geben und zu trösten. Was den Mythos vom religiösen Denken unterscheidet ist, daß an ihn nicht "geglaubt" wird. Mythen sind Leistungen einer Kompensation, um die Angst vor dem "Absolutismus der Wirklichkeit" (Blumenberg) in eine handhabbare Furcht zu verwandeln. Das beginnt mit der Namensgebung der Gewalten, die eine erste Beruhigung und Einführung von Vertrautheit darstellt. Der Polytheismus und die damit verbundene Gewaltenteilung ist vielleicht das Merkmal mythischen Denkens. "Der Mythos repräsentiert eine Welt von Geschichten, die den Standpunkt des Hörers in der Zeit derart lokalisiert, daß auf ihn zu der Fundus des Ungeheuerlichen und Unverträglichen abnimmt." (Hans Blumenberg; Arbeit am Mythos ; S. 131) - Die Quelle des Leidens in der Welt und an der Welt tritt dem Menschen nicht als übermächtige Kraft entgegen; Prometheus wird gerettet werden. Das Bewußtsein mangelnder Kontrolle und Vorhersehbarkeit wird "beruhigt" durch ein Arsenal von Überlebensstrategien, in welchem der Mythos eine geradezu "vernünftige" Option ist. Die Geschichtsformel Vom Mythos zum Logos erlaubt ja gerade nicht, im Mythos eine der Leistungsformen des Logos anzuerkennen, weil sie im Mythos eine Form des unaufgeklärten, dogmatischen Denkens sieht, die vom Logos, von der wissenschaftlichen Vernunft, im Zuge eines Fortschritts "überwunden" wird. -

Als erster hat vielleicht Nietzsche diese Diskreditierung der "tragischen Sicht der Existenz" durch die "sokratische" Sicht in der Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik gesehen. Die Hoffnung auf eine selbstgenügsame, aufgeklärte Selbstwahrnehmung und Selbstbehauptung des Menschen in der Moderne erfüllt sich nicht, weil der "Sokratismus" in seinem Reduktionismus den Mythos "entweiht". Die Remythologisierung des Selbstverständnisses erfolgt bei Nietzsche dann durch die Ästhetisierung der dramatisch-musikalischen Kunst als "metaphysischen Trost". - Soweit zunächst einmal ...

Gruß

Nauplios


isabelle Offline



Beiträge: 4

23.10.2004 23:21
#3 RE:Eros und Götterbilder Antworten

Lieber Nauplios,

Nestle versteht unter Befreiung des Geistes sicher etwas anderes, als das was ich zum Ausdruck zu bringen versuchte. „...die Geschichte der allmählichen Zersetzung des griechischen Götterglaubens durch die Philosophie ...“ - so beginnt er das Vorwort seines Buches „Griechische Geistesgeschichte“ - ist m.E. nach eben dies nicht. Die mythische Götterwelt ist nämlich nicht durch die Philosophie zersetzt worden, sondern sie ist aus sich selbst heraus brüchig geworden, wie ein paar Schuhe, die lange getragen gute Dienste leisteten und dabei arg strapaziert wurden und schließlich Neue nötig machten. Die Philosophie ist dieser neue Schuh, der aber erst passend gemacht werden muss. Neue Schuhe für die Füße sind schnell beschafft oder gemacht, aber ein dem Leben in Mythen vergleichbares Leben in der Philosophie, in dem möglichst alle Menschen zu Hause sein können, ist nicht so schnell herzustellen. Die vorsokratischen Naturphilosophen, auch Platon und Sokrates – und neben ihnen vermutlich noch andere, die unbekannt in der Geschichte verschwunden sind – sollten daher eher als mehr oder weniger geglückte Versuche ihrer Zeit angesehen werden, um dem auf dem Boden des Mythos gewachsenen menschlichen Bewusstsein ein adäquateres Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem es die Natur, sich selbst und die Götter auf neu bemessene Weise begreifen und verstehen könne. Entwicklung und Veränderung heißt aber schon beim einzelnen Menschen nie automatisch Fortschritt. Ob nämlich geistig-seelische Umbrüche zum Glück eines Menschen ausschlagen, hängt davon ab, was er darin Wesentliches für sein Mensch-Sein zu leisten in der Lage ist. Leistungen, die in geistigen Umbruchszeiten von Gesellschaften und Völkern erbracht werden müssen, verlangen eine ungleich höhere Anstrengung. Die Griechische Philosophie ist dabei nur sehr vereinzelt erfolgreich gewesen. Mehrheitlich hat sie sich in eine naturphilosophische Einseitigkeit begeben, die der mythischen Komplexität der Deutung und Bewältigung von Natur-Mensch-Gott nicht annähernd zu vergleichen ist, aber seit Jahrhunderten als philosophischer Fortschritt gepriesen wird. Der geistig-seelischen Innerlichkeit als Realität – von der u.a. die platonischen Ideen handeln - hat sich die Philosophie weithin versagt – und so ist davon auch in der Philosophie außer einem kargen Denken nicht viel übrig geblieben. Ganz zu schweigen von den Göttern – diesen Bereich hat die Philosophie inzwischen resigniert in den Bereich des bloßen Für-Wahr-Haltens verschoben. Die Hohlheit einer solchen Philosophie, die fast alle geistigen Inhalte aus dem sinnlich wahrnehmbaren Bereich empfängt, mit der Folge, dass der Kreativität des Geistes und der Seele nur noch das Spekulative bleibt, hat Nietzsche zurecht kritisiert. Seine Hinwendung zur Ästhetik mit dem Ziel, darin metaphysischen Trost zu finden, halte ich für eine Sackgasse. Denn die Macht der Ästetik kann sich nur da voll entfalten und zu einem gestaltenden Element des Menschenlebens werden, wo sie eingebettet ist in einen größeren Sinnzusammenhang.

gruß
isabelle

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