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 Philosophische Lektüre 4
TemporarySilent Offline




Beiträge: 231

23.11.2004 01:48
Kleines nautologisches Ontologikum - Teil 4 Antworten

Nauplios:

In § 156 der Parerga und Paralipomena schreibt Schopenhauer: „Die Welt ist eben die Hölle und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin.“ – Der Mensch ist also der Betreiber seines Daseins und der Getriebene gleichermaßen und das nicht nur, weil ihn sein Geschick die Fronten wechseln läßt, sondern weil in ihm selbst als weltzugewandtes Subjekt eine reflexive Struktur angelegt ist. Weil er sich auf sich selbst beziehen kann, ist er Akteur und Beobachter gleichermaßen – der erste Schiffbrüchige, der zum Zuschauer seiner eigenen Katastrophe wird. Dieses „Doppelleben“ ermöglicht ihm die Vernunft, die Schopenhauer als „Vorstellung einer Vorstellung“ bestimmt. Das Subjekt hat nicht nur eine Vorstellung von der Welt; es kann den Prozeß des Vorstellens auch auf sich selbst anwenden und die Vorstellung von der Welt wird damit ihrerseits zum Gegenstand einer – neuen – Vorstellung, einer Vorstellung zweiten Grades. In dieser zweiten Vorstellung taucht aber das Subjekt dann auch wieder auf beiden Seiten auf – auf der „Objektseite“, insofern es sich mit seiner Vorstellung einer Vorstellung zum Gegenstand einer Vorstellung dritter Ordnung macht und auf der „Subjektseite“, insofern es sich mit seiner Vorstellung einer Vorstellung als tätiges, eben vorstellendes Ich zeigt. Jeder Vorstellung – auf welcher Stufe immer – geht also etwas vorher. Kant benutzt zur Kennzeichnung dieses „vorher“ den Begriff „transzendental“. Der Begriff meint also gerade nicht das, was über alle Erfahrung hinaus geht (das wäre eher „transzendent“), sondern was ihr als Erfahrungserkenntnis möglich machend vorhergeht. – Das ist gemeint, wenn Blumenberg schreibt: „Der Zuschauer übersteigt sich in der Reflexion zum transzendentalen Zuschauer.“ (S. 59)

Daß Vernunft etwas ist, das auf sich selbst angewendet werden kann – dafür benutzt übrigens auch Kant eine berühmte Metapher, wenn er in der Kritik der reinen Vernunft davon spricht, daß darin die Vernunft über sich selbst zu Gericht sitzt. Sie ist Richter und Angeklagter ineins. Vielleicht war dieses Bild für Schopenhauer zu „blaß“, um die „allseitige Übersicht des Lebens im ganzen“ zu veranschaulichen und den „Stürmen der Wirklichkeit“ adäquat zu begegnen.

Bei Schopenhauer ist der Zuschauer ein transzendentaler Zuschauer, einer, der die Ungeheuerlichkeiten der Natur und die Verstrickung ins Weltgeschehen durch das, was er den „Willen“ nennt, dadurch konterkariert, daß die Welt, die ja nicht nur Wille, sondern gleichermaßen Vorstellung ist, uns als vorgestellte nicht zu beunruhigen weiß, weil sie als solche „in uns ruht“. – Die Weltsucht des Willens wird überboten durch die Weltflucht der Vorstellung. -



TemporarySilent:

Im Kapitel 5 reflektiert Blumenberg am Beispiel von Schopenhauer die Beziehung zwischen Zuschauer und Schiffbrüchigen. Maßgebend für Schopenhauer ist der Begriff der Vernunft.
Die Vernunft macht den Menschen zum Zuschauer dessen, was er erleidet. Schopenhauer greift die nautische Metaphorik auf: “Denn in seiner Übersicht des Lebens verhält sich das Vernunftwesen zum Tier wie der Schiffer, welcher mittels Seekart, Kompaß und Quadrant seine Fahrt und jedesmalige Stelle auf dem Meer genau weiß, zum unkundigem Schiffsvolk, das nur die Wellen und den Himmel sieht.“ (S.65) Seiner Auffassung zufolge führt der Mensch ein Doppelleben. Konkret artikuliert es sich in der Leidensfähigkeit und Preisgabe „er muss streben, leiden und sterben wie ein Tier“. Abstrakt steht er vor dem „verkleinertem Grundriß seines Lebensweges.“ Dieses Doppelleben wird in der Erhabenheit ausgedrückt. Der Zuschauer wird zum transzendentalen Subjekt, durch die Übersteigerung in der Reflexion.
Bei Schopenhauer verschiebt sich seine nautische „Imagination“ auf die des Theaters:
„Wer spielt das Stück noch ,wenn der Schauspieler sich endgültig zurückzieht, um Zuschauer zu werden?“ Die simple Antwort ist die, dass die Tragödie nicht stattfindet. Also verunmöglicht die Meeresstille das Lösen der Probleme der Vernunft.
Der Historiker Burckhardt treibt die Schiffbruchsmetapher ins Paradox voran. Ausgehend davon, dass es eine Kontinuität über alle Untergänge und Schiffbrüche hinweg gibt, verlieren die Begriffe Glück und Unglück immer mehr an Bedeutung. Der Historiker verliert in der Zuschauerposition seinen festen Standort. Es gibt keinen Abschluß von Veränderungen. „ Es ist derselbe Sturm ,der zerbricht und bewegt, scheitern lässt und weitertreibt“.(S.75)

"Wir sind hier alle Individualisten. " - "Nein, ich nicht, ich bin der einzige, der kein Individualist ist. " (Das Leben des Brian)

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