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 Philosophische Lektüre 1
Tanoujin Offline



Beiträge: 19

13.08.2004 20:17
Diotima quer Antworten

Liebe Freunde der Weisheit,
Hier ein handwerksmäßiger Versuch, die Rede der Diotima abzuspecken und zu gliedern, mit dem Ziel, eine Grundlage für weitere Diskussionen zu schaffen. Der Abschnitt hat im Original 30.200 Zeichen, ich habe ihn auf knapp 8.000 geschrumpft und Henkel zum Wegwerfen drangetackert. Ohne Kopie in die Textverarbeitung ist das natürlich absolut ungenießbar, aber wie soll man sonst dem „Husch-husch“ entgegenwirken?

Unverbindlicher Vorschlag zum weiteren Vorgehen: Kritik an dieser Zusammenfassung und Korrekturen innerhalb dieses Threads.

Verständniserweiternde Anmerkungen (z.B. zur Kopfgeburt der Athene oder zum Ideal der apollinischen Schönheit, Querverweis zum Schiff des Theseus oder zum Höhlengleichnis usw) und Kontroversen bezüglich des Inhaltes (z.B. über die Unfruchtbarkeit des Hässlichen B.4 kontra Adornos „Heideknabe" Minima Moralia 103, oder über die Differenz zwischen Haben und Sein ect.) ev. mit Textbezug neu aufmachen.

Grüße, Tan

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Gliederung – Übersicht

Die Rede der Diotima

A. Eigenschaften des Eros
1. Ein Drittes zwischen den Extremen
2. Ein Dämon
3. Der Sohn von Penia und Poros
4. Ein Philosoph
5. Der Liebende

B. Welchen Nutzen gewährt Eros den Menschen?
1. Streben nach Glückseligkeit
2. Liebe im weiteren Sinn
3. Streben nach dauerndem Besitz des Guten
4. Liebe als Tätigkeit
5. Unsterblichkeit: Gegenstand der Liebe

C. Streben nach Unsterblichkeit
1. Animalische Liebe - Naturbetrachtung
2. Fortdauer durch Zeugung
3. Teilhabe des Sterblichen am Unsterblichen
4. Ehrgeiz, Ruhm und Heldenmut
5. Zeugungslust des Leibes und er Seele
6. Geistige Schwangerschaft

D. Die Mysterien der Liebe
1. Die Stufen der Weihe
2. Erkenntnis des Schönen
3. Das Urschöne
4. Schönheit, Wahrheit, Tugend

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Einleitung:
Nachdem Sokrates gezeigt hat, dass Eros nach dem strebt, was er nicht ist und nicht besitzt, führt er die Diotima als seine Lehrerin ein, die ihn betreffs der Liebe belehrt habe, als er noch denselben Standpunkt vertrat wie Agathon im vorangegangenen Dialog.

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Die Rede der Diotima

A.Eigenschaften des Eros

1. Ein Drittes zwischen den Extremen
Eros ist nicht schön, nicht gut, nicht weise und auch kein Unsterblicher. Er ist aber auch nicht hässlich, nicht schlecht, nicht unwissend und auch kein Sterblicher, sondern ein Drittes zwischen den Extremen.

2. Ein Dämon
Als Mittelglied zwischen Göttern und Menschen ist er ein Dämon von vielen. Durch Vermittlung der Dämonen bindet sich das All mit sich selbst zusammen. Ein dämonenbeseelter Mensch strebt über das Handwerksmäßige hinaus dem Höheren zu.

3. Der Sohn von Penia und Poros
Eros ist ein Kind der Armut und des Erwerbs. Daher ist er einerseits arm, rauh und obdachlos, andererseits ein verwegener und beharrlicher Wahrheitssucher. Er leidet weder Mangel noch besitzt er (geistige) Reichtümer, sondern pendelt zwischen den Extremen.

4. Ein Philosoph
„Keiner der Götter..." Die Philosophierenden stehen in der Mitte zwischen den Weisen und den Unwissenden. Die Liebe ist auf alles Schöne gerichtet. Weisheit zählt zum Allerschönsten. Folglich ist Eros ein Philosoph.

5. Der Liebende
Eros ist das Liebende, nicht das Geliebte. Das Liebenswürdige ist tatsächlich das wahrhaft Schöne, Zarte, Vollendete und Seligzupreisende. Das Liebende trägt aber eine ganz andere Gestalt (s. A.3)

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B. Welchen Nutzen gewährt Eros den Menschen?

1. Streben nach Glückseligkeit
Die Liebe begehrt das Schöne. Was wird dem zuteil, welchem das Schöne zuteil wird? Die Frage bleibt vorläufig offen. (s. D.4)
Und was wird jenem zuteil, dem das Gute zuteil wird? Er wird glückselig und ist am Ziel seines Strebens.

2. Liebe im weiteren Sinn
Jeder Mensch sucht das Gute für immer zu besitzen. So wie „Dichten (poiesis = Machen) eigentlich alle schaffenden Tätigkeiten bezeichnet, umfasst die Liebe im weiteren Sinne alles Streben nach dem Guten und der Glückseligkeit, obwohl im allgemeinen Sprachgebrauch nur ein Teil dieses Strebens mit dem Namen des Ganzen belegt wird.

3. Streben nach dauerndem Besitz des Guten
(Seitenhieb auf die Vorrede des Aristophanes). Nichts anderes lieben die Menschen als das Gute.

4. Liebe als Tätigkeit
Die der Liebe angemessene Tätigkeit ist die Zeugung im Schönen, dem Körper wie dem Geiste nach. (über die Zeugung, wie gehabt). Die Natur vermag im Hässlichen nicht zu zeugen. Wo es an Einklang fehlt, kann dieser Akt nicht vor sich gehen. Das Hässliche steht im Widerspruch zum Göttlichen und ist deshalb unfruchtbar. Wenn das Zeugungslustige sich dem Hässlichen nähert, dann zieht es sich in sich selbst zurück und wendet sich ab und erzeugt nicht, sondern hält seinen Zeugungsstoff mit Schmerzen an sich.

5. Unsterblichkeit: Gegenstand der Liebe
Liebe ist nicht auf das Schöne als solches gerichtet, sondern auf die Erzeugung und Geburt im Schönen. Die Zeugung ist das Ewige und Unsterbliche, soweit dies von Sterblichen erreicht werden kann. Die Liebe in und mit dem Guten muss auch auf die Unsterblichkeit gerichtet sein, da sie nach dem dauernden Besitz des Guten strebt. Also ist die Unsterblichkeit Gegenstand der Liebe.

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C. Streben nach Unsterblichkeit

1. Animalische Liebe - Naturbetrachtung
Der heftige Zeugungstrieb der Tiere ist ebensogut auf die Aufzucht des Erzeugten gerichtet wie auf die gegenseitige Vermischung. Die Tiere zerreißen sich für ihren Nachwuchs. Bei den Menschen könnte man glauben, dass dies aus Überlegung geschieht. Bei den Tieren liegt der Grund eindeutig darin, dass die sterbliche Natur nach Vermögen zur Fortdauer und Unsterblichkeit drängt. Sie kann nur durch Zeugung an der Unsterblichkeit teilhaben, indem sie ein Junges von derselben Art anstelle des Alten zurücklässt.

2. Fortdauer durch Zeugung
Obwohl man von jedem einzelnen Wesen sagt, es sei von Geburt bis zum Tod ein und dasselbe, ist es doch so, dass es sich in allen Teilen ständig erneuert und das Alte abwirft. So ist es mit dem Körper und auch mit der Seele (Charakter, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, Freude, Schmerz, Furcht). Auch im Bezug auf die Erkenntnisse sind wir niemals dieselben, und sogar die Erkenntnisse selbst unterliegen dem ständigen Wechsel des Vergessens und Erinnerns.

3. Teilhabe des Sterblichen am Unsterblichen
Alles Sterbliche erhält sich dadurch, dass das Abgehende und Veraltete stets ein anderes, Neues von derselben Art wie es selber war zurücklässt. Durch dieses Mittel hat das Sterbliche Teil an der Unsterblichkeit. Das Göttliche dagegen erhält sich, indem es beständig und überall dasselbe bleibt.

4. Ehrgeiz, Ruhm und Heldenmut
Sokrates wundert sich und fragt Diotima, ob sich dies denn auch wirklich so verhalte. Die Antwort ist als sophistisch ausgewiesen:
Der Ehrgeiz unter den Menschen wäre vernunftwidrig, wenn es nicht darum ginge, sich einen großen und unsterblichen Namen zu machen. Dieser Ehrgeiz übertrifft noch die Sorge um den Nachwuchs. Für den unsterblichen Ruhm ihres Heldenmutes und für ein ehrenvolles Andenken nehmen all die größten Opfer und Mühen in Kauf, um so mehr, je edler sie geartet sind: denn sie lieben das Unsterbliche. (Anklang an Ahnenkult und Sippenzugehörigkeit - lässt sich das als Kritik an der Aristokratie deuten?)

5. Zeugungslust des Leibes und er Seele
„Diejenigen [Männer], welche dem Leibe nach zeugungslustig sind, wenden sich mehr zu den Weibern und suchen bei ihnen ihrer Liebe Befriedigung, um sich durch die Zeugung von Kindern Unsterblichkeit, Andenken und Glückseligkeit für alle Folgezeit, wie sie meinen, zu erwerben;"
Die aber, die es der Seele nach sind, erzeugen, was der Seele zukommt: Weisheit und alle andere Tugend. Es sind die schaffenden Künstler (s. B.2: poiesis), unter ihnen besonders die Verwalter von Staat und Hauswesen. Weisheit höchster Teil: maßhaltende Besonnenheit und Gerechtigkeit.

6. Geistige Schwangerschaft
Wenn jemand von Jugend auf in seinem Geiste schwanger geht und in die Jahre kommt, sucht er nach dem Schönen, in welchem er fruchtbar werde. Trifft er eine schöne Seele in einem schönen Körper, umfasst er beides in außerordentlicher Liebe. Er sucht seinen Liebling zu bilden und gebiert und erzeugt so, womit er schon lange schwanger ging „indem er anwesend und abwesend sich seiner erinnert". In Gemeinschaft mit ihm zieht er das Erzeugte auf, darauf gründet sich die festeste Freundschaft, „weil sie ja schönere und unsterblichere Kinder miteinander gezeugt haben" als es die leiblichen Kinder je sein könnten.
Beispiele solcher Kinder und ihrer geistigen Väter: die Dichtungen von Homer und Hesiod, die Gesetzgebungen von Lykurg und Solon.

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D. Die Mysterien der Liebe

1. Die Stufen der Weihe:
1.1. In der Jugend liebt man unter richtiger Leitung einen schönen Körper und erweist sich an diesem fruchtbar in schönen Reden.
1.2. Man kommt zur Einsicht, die Schönheit an allen Körpern für ein und dieselbe zu erkennen und wird damit Liebhaber aller schönen Körper.
1.3. Man lernt die geistige Schönheit für weit schätzbarer achten als die des Körpers, lässt geringe körperliche Reize genügen und pflegt & fördert eine liebenswürdige Seele
1.4. Einsicht in die Verwandtschaft des Schönen in den Bestrebungen, Sitten und Gesetzen bei vergleichsweiser Geringfügigkeit des körperlich Schönen führt zur Tugend.
1.5. Man lässt sich von den Bestrebungen zu den Wissenschaften leiten, um deren Schönheit zu erkennen - nicht mehr im Einzelnen, sondern in der Fülle der Erscheinungen.
1.6. Die Fülle des Weisheitsstrebens wird auf eine einzige Erkenntnis des Schönen zusammengefasst.

2. Erkenntnis des Schönen
Das höchste Schöne ist ein beständig Seiendes, etwas absolutes und abstraktes, „rein in sich und für sich und ewig sich selber gleich". Alles andere Schöne hat daran nur in der Weise Teil wie das Werdende / Vergehende am Ewigen / Enthobenen.

3. Das Urschöne
Von der rechten Knabenliebe führt der Weg bis zum Erkennen des Urschönen. Von einem zu allen schönen Körpern, weiter zu den schönen Bestrebungen, zu den schönen Erkenntnissen - bis man innerhalb der Erkenntnisse bei jener Erkenntnis endet, die das allein wesenhaft Schöne erkennt.

4. Schönheit, Wahrheit, Tugend
Die Betrachtung des Ansichschönen gibt dem Menschenleben einen wahrhaften Wert. Das Göttlichschöne in seiner ureigenen Gestalt ist „nicht verunreinigt mit Fleische und Farben und allem übrigen irdischen Tande". Wer das Schöne mit dem Auge anschaut, welchem es allein wahrhaft sichtbar ist, verbindet sich mit der Wahrheit. Da er ja nicht an einem Schattenbild haftet, wird er nicht bloße Schattenbilder der Tugend gebären und auferziehen, sondern die wahre Tugend. So wird es ihm gelingen, ein Gottgeliebter zu werden, und wenn irgendeinem Menschen, so auch ihm unsterblich zu sein.

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Sokrates spricht ein knappes Schlusswort, das war's

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