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 Philosophische Lektüre 1
Angelia ( Gast )
Beiträge:

08.08.2004 11:20
Symopsion versus Philosophenkongress ( zum schmunzeln) Antworten

Hallo zusammen

folgenden Text habe ich im Net gefunden und dachte ihr habt vielleicht auch Freude daran.

einen schönen Gruß
Angelia

Im Klubhaus der himmlischen Philosophen gab es unauslöschliches Gelächter. Seit dem Tage, an welchem in diesen Räumen der Herrscher im Donnergewölk Zeus und die übrigen Götter das sprichwörtlich gewordene homerische Gelächter angestimmt hatten, war in den Gefilden der Seligen ein so tosendes Lachen nicht vernommen worden. Die jüngeren waren freilich nicht so laut. KANT lachte nur still in sich hinein. SPINOZA lachte vorsichtig wie ein Schwindsüchtiger, der sein Leben lang gewöhnt war, seinen Körper und seine Seele vor Erschütterungen zu bewahren. Aber die alten Griechen! Sie kreischten und sie schrien wie glückliche Kinder, denen im Zirkus der lustigste Schwank vorgeführt worden ist. Sokrates hielt sich das Bäuchlein, und helle Tränen der Lust liefen ihm die Wangen hinunter. Bei Heraklit, der noch niemals seit Jahrtausenden seinen Ernst verloren hatte, kam es zu einer Explosion des Lachens. Demokrit hatte sich hintenüber geworfen und schnappte nach Luft.

Petrus steckte seinen Kopf zwischen den Vorhängen herein. Gottvater lasse fragen, was es gebe. Der Himmel sei großem, heiligen Lachen nicht gram.

Schopenhauer (da kein anderer vor Lachen antworten kann): Die Philosophieprofessoren der Professorenphilosophie der "Jetztzeit" sind vergnügt zusammengekommen und nennen das einen Philosophenkongress.

Sokrates: Und eben wurde eine Debatte über Realismus und Idealismus - ich kann nicht mehr - unterbrochen, weil - es ist wirklich wahr - weil die Herren Philosophen sich lieber für eine Illustrierte Zeitung photographieren ließen! Ach, Platon, hilf mir! Ich kann nicht mehr!

Petrus zog sich zurück, und bald darauf erklang von fern, wie ein Pelotonfeuer fortschreitend durch die ewigen Räume, das seltene Lachen der himmlischen Heerscharen. Und dann ein leises, tiefes, unendlich gütiges, lachendes Donnern aus dem Abgrund des Himmels.

Im Klubhause gab es einen kleinen Schrecken. Demokrit schien ersticken zu wollen. Er war schon ganz blau im Gesicht. Einige Ärzte der skeptischen Schule und andere Ärzte von den arabischen Philosophen wollten ihm beispringen und begannen, über die richtige Behandlungsart zu streiten. Darüber fanden die himmlischen Philosophen ihren heiteren Ernst wieder. Und also sprach

Sokrates: Es ziemt uns vor anderen seligen Geistern, uns Rechenschaft zu geben von unserem Tun, auch von unserem Lachen. Warum haben wir eigentlich so unbändig gelacht? Nicht unnützlich schient mir diese Frage.

Schopenhauer: Wir haben über einen Witz gelacht. Blitzschnell, mein lieber Meister, hat unsere Vernunft die Unverträglichkeit der beiden Begriffe "Philosoph" und "Kongress" aufgefaßt. Es ist ein Witz ansich, es ist paradox, sich an die hundert gleichzeitig lebende Menschen vorzustellen, die sich Philosophen nennen. Unter den Menschen des Alltags, unter dieser Fabriksware der Natur, sind die wirklichen Philosophen, die sich von den Spaßphilosophen unterscheiden wie Gold von Messing, so rare Erscheinungen, daß nicht immer ein ganzer Philosoph auf jedes Geschlecht der Menschen kommt. Glücklich schon das Menschengeschlecht, wenn einmal ein greiser Philosoph vor dem Scheiden dem jungen Nachfolger die Hand reicht, wenn Sokrates und Platon einige Jahre nebeneinander auf der Erde wandeln. Die Vorstellung teurer Meister, daß sie einem griechischen Philosophenkongress hätten präsidieren können, ist komisch.

Sokrates: Andere Zeiten, andere Sitten. Die Worte oder Begriffe wandeln ihre Bedeutungen. Wir haben uns noch den Kopf darüber zerbrochen, was Philosophie sei, ihrem Wesen nach sei. Jetzt fragen die Herren bescheiden nur, was Philosophie heiße, in der gegenwärtigen Sprache heiße. Sie, mein guter Schopenhauer, haben mit heißem Kopfe untersucht, wer ein Philosoph sei, wirklich sei. Die Herren unten wollen nur wissen, wer sich nach dem gegenwärtigem Sprachgebrauch einen Philosophen nennen dürfe. Nach unserer offenbar veralteten Sprachgewohnheit ist ein Philosophenkongress nur hier möglich, in den Gefilden der Seligen. Wenn es aber unten jetzt in der Tat viele hundert Leute gibt, die allgemein Philosophen genannt werden, haben wir eigentlich nur über den gegenwärtigen Sprachgebrauch gelacht. Wissen die Herren, was für eine Menschenart der Name Philosoph gegenwärtig bezeichnet?

Hume: Bei uns nennt sich einen Philosophen, wer über sein Geschäft nachdenkt. Wer die fettesten Ochsen gemästet und verkauft hat, und sich dann darüber wundert, daß er die Ochsen nicht so fett gekriegt habe, der heißt ein Philosoph. Der Nichtphilosoph wundert sich nie.

Descartes: Bei uns nennt man einen Philosophen, der weder auf die alten Dogmen, noch auf die neuen Schlagwörter schwört. Wer "nein" zu sagen wagt, wo die kompakte Majorität "ja" gesagt hat, der heißt bei uns ein Philosoph. Ein Narr auf eigene Faust.

Bruno: Bei uns heißt ein Philosoph, wer ein bißchen weiter denkt, als die Befriedigung seiner Bedürfnisse erfordert.

Laotse: Bei uns ist's umgekehrt. Uns heißt ein Philosoph, wer sein Denken auf das einschränkt, was innerhalb seiner Haut vorgeht.

Sokrates: Da mag es freilich in Engelland und im Frankenreich, im Lande Italia und im Reiche der Mitte gar viele Philosophen geben. Wie aber steht es um das Volk der Denker? Um die Deutschen? Nein, mein guter Schopenhauer, Sie sind immer noch zu hitzig. Gern hätte ich die Meinung des verehrten Kant vernommen.

Kant: Ach, mein lieber Freund und Meister, in Deutschland ist man mit der Bezeichnung nicht so freigiebig, wie anderwärts. Da darf sich nicht ein beliebiger Ochsenzüchter oder Menschenfreund einen Philosophen nennen. Die gute Polizei würde ihn wegen Anmaßung eines falschen Titels schon bestrafen. Bei uns heißt ein Philosoph, wer den Titel nach den Vorschriften der zuständigen Polizei erworben hat. Zwei Rangstufen des Titels gibt es. Man kann Doktor der Philosophie heißen, aber auch Professor der Philosophie. Der Doktor der Philosophie hat furchtbar viel gelernt, doch immer nur das, was unter einer Rubrik beisammen steht. Fachwissen nennt man's. Griechische oder gotische Formenlehre oder Geschichte oder die letzte Klassifikation der Pflanzen. Für das sogenannte Examen (eine polizeiliche Einrichtung) hat der Doktor der Philosophie zu seinem Schmerze alle unsere Namen, die wir hier beisammen sind, die Jahreszahlen, auch die Namen unserer Hauptwerke auswendig zu lernen. Vier Wochen später und bis an sein Lebensende weiß er von diesen Dingen nichts mehr. Übrigens nennt sich der Doktor der Philosophie niemals einen Philosophen. Darüber würden Kälber lachen. Ein Philosoph ist, wem der Titel eines Professors der Philosophie zusteht. Die polizeiliche Einrichtung, durch welche man Professor der Philosophie werden kann, heißt eine Habilitation. Wer den Titel mit einiger Sicherheit erwerben will, der hüte sich davor, sich mit den Zielen der Philosophie zu beschäftigen. Er widmet sich vielmehr der Geschichte der Philosophie, irgend einem kleinen Ausschnitt aus der Geschichte der Philosophie. Unsere verloren gegangenen Bücher und Papiere sind besonders beliebt. Und was der eine Professor der Philosophie verfasst hat, das muß der andere gelesen haben. Das ist die Hauptsache. Ich weiß nicht, aber ich habe für diese Dinge niemals Zeit übrig gehabt.

Spinoza: Ich auch nicht.

Sokrates: Wahrhaftig, ich auch nicht. Aber meine Herren, es ist doch nun klar geworden, daß die Philosophen, die unten einen Kongress abhalten, ganz anderer Art sind als die Freunde der Weisheit hier an dieser Tafelrunde.

Montaigne: Möchte nur wissen, wie meine Landsleute, die närrischen Weltverbesserer, sich mit den gelehrten deutschen Philosophen auf dem Kongress verständigen. Kein Wort ist ihnen gemeinsam.

Schopenhauer: Habilitation!

Sokrates: Zum zweiten Male vernehme ich dieses Wort. Ich verstehe es nicht. Ich bedauere, daß wir keinen einzigen Philosophen aus der lateinischen Römerzeit unter uns haben. Etwas zu übersetzen wäre er gut genug.

Platon: Der strebsame Kikero streicht immer um den Eingang herum. Er wird sich nicht lange bitten lassen. Kikero!

Cicero: (eilt herein): Welche Ehre! Welches Glück!

Sokrates:Sie sollen uns nur sagen, was das lateinische Wort Habilitation in unserer Sprache bedeutet.

Cicero: Es ist kein gutes lateinisches Wort. Ich habe es niemals gebraucht. Es ist abgeleitet von dem guten Worte habilis, das etwa "bequem, geschickt, gewandt, geeignet, lenksam, behend, geschmeidig" bezeichnet.

Platon: Brav mein lieber Kikero. Sie können wieder abtreten.

Cicero: Meine Herren, können sie mich denn in ihrem Klub gar nicht brauchen? Als Bibliothekar? Als Festredner? Als Garderobier?

Sokrates: Nein, mein lieber Herr Kikero. Doch sie brauchen die Hoffnung nicht aufzugeben. Auch in den Gefilden der Seligen ist die Mode nicht ganz unwirksam. Vielleicht lernen wir Sie einmal mit anderen Augen sehen. Einstweilen melden Sie sich doch unten beim Philosophenkongress. Man wird Sie ehren wie einen Minister.

Cicero: Beugen Sie meinen Römerstolz nicht zu tief. Lieber ein Bettler vor der Tür des Sokrates, als der Ehrenpräsident eines Philosophenkongresses. (geht mit langen Schritten ab. Kant singt nach der Melodie "Was kommt dort von der Höh' etwas vom "ledernen Kikero")

Sokrates: Lieber Kant, ich werde Sie zu einer Nektarkanne verurteilen müssen. Wollen wir nicht zum Gegenstand unserer Plauderei zurückkehren? Als die Philosophen noch ganz vereinzelt auftraten, konnten sie keinen Stand bilden, keine Berufsklasse. Nun gibt es, wie wir jetzt gehört haben, viele hundert Philosophen oder Philosophieprofessoren. Sie haben also ganz recht, wenn sie wie andere Stände ihre Standesinteressen wahren, wie die Fabrikanten, die Hausbesitzer, die Schauspieler, die Schornsteinfeger, kurz wie andere Leute, deren Beschäftigung für nützlich gehalten wird. Und wenn es ihren Interessen besser entspricht, sich photographieren zu lassen, als über Realismus oder Idealismus zu disputieren, so müssen sie sich eben photographieren lassen.

Schopenhauer: Und essen und trinken zu Ehren der Philosophie, bis ...

Sokrates: Von Philosophie ist ja nicht die Rede. Nur von dem gemeinsamen Interesse der Herren, die nach dem gegenwärtigen Sprachgebrauch Philosophen heißen. Und dann! Warum sollten auch bessere Männer - es sollen einige gute Köpfe unter ihnen sein - sich nicht einmal bei einem Gastmahl vereinen? Weißt du noch, mein Platon, unser schönes Gastmahl ...

Platon: Wecke die Erinnerung nicht, Meister. Sonst könnte es mich schmerzen, daß ich ein seliger Geist bin und nicht mehr unter den Lebendigen wandle. Unser Gastmahl! Zwei Jahrtausende ist es her, und noch hat die Blumes jenes Weines ihren Duft nicht verloren, noch ist nicht ausgelöscht der Sternenglanz jener Nacht, noch ist nicht völlig verflogen der göttliche Rausch jener Stunden.

Sokrates: Weißt du noch?

Platon: Weißt du noch? Jawohl, wir waren trunken, aber der Weinrausch war in dieser Trunkenheit nur wie ein verflogenes Rosenblatt auf dem Wein im goldenen Becher. Trunken waren wir vom Lachen und von der Kraft. Aristophanes war mit uns und Alkibiades der Trunkenste von allen. Von Weisheit wurde nicht gesprochen. Schweigend saß sie bei unserem Gelage. Und scherzte, wenn sie reden mußte. Sokrates, mein Sokrates, die Ewigkeit hier in den Gefilden der Seligen für die Trunkenheit jener einen lebendigen Nacht. Bei der Erinnerung wird der Nektar schal, und euch alle sehe ich schattenhaft und grau. Und bei der Erinnerung an unser unsterbliches Gastmahl, da willst du uns verwehren, einmal herzhaft aufzulachen, über das irdische Gastmahl des Philosophenkongresses!

Sokrates: Nicht verwehren, mein liebes Kind. Nur gerecht möchte ich sein gegen die Herren da unten, die ja nichts dafür können, daß der neue Sprachgebrauch auch sie Philosophen nennt. Ganz gerecht möchte ich sein und den Herren es nicht einmal verübeln, wenn sie unser Lachen mit ihrem Lachen erwidern. Ja, ja, ihr Herren, die Philosophen der neuen Art haben allen Grund, über die Philosophen der alten Art zu lachen. Seltsam und fremd ist ihnen die Qual des Erkenntnisdranges, seltsam und fremd das Lebensopfer für ein unerreichbares Ziel. Fremd ist es ihnen, als einzigen Lohn Verfolgung, Verachtung, Tod oder Bann zu empfangen. Das Standesinteresse verlangt anderen Lohn. Seid still, ihr Herren, und horcht. Wer ein Lügenohr besitzt, der muß vernehmen, wie die da unten heimlich über uns lachen.

Ein Donnerschlag aus dem Abgrund des Himmels machte dem Reden und dem Horchen ein Ende.

QUELLE: Fritz Mauthner, Totengespräche, Berlin 1906

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