Hallo Nauplios.
Der von dir als ‘Grunddoktrin’ bezeichneten Satz „nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu“ schreit ja geradezu nach der Ergänzung „nisi intellectus ipse“. Denn wenn ‘intellectus (Geist, Verstand)’ als ‘vorhanden’ gedacht wird, muss ‘der’ ja ‘irgendwo sein’.
Dabei handelt es sich aus meiner Sicht aber um ‘eine Nominalisierung mit der Folge der Vergegenständlichung einer offensichtlichen Aktivität und ihrer Weiterbildung zu einer Wesenheit mit eigenständigen Aktivitäten’. (‘offensichtliche Aktivität’ = ‘denken’ etc.)
Aus meiner Sicht lässt ein ‘konsequent gedachter sensual(konstruktiv)istischer Ansatz’ solche ‘Wesenheiten’ jedoch nicht zu, da diese nicht sensuell erfasst werden können.
Meine eigene Formulierung der 'definitorischen Grenze des Sensualismus', „'nihil in caput (intellectu) nisi de (per) sensu'('Nichts ist im Kopf, das nicht über Sensoren dorthin gelangt ist')“ ist denn auch sehr bewusst so formuliert, dass ‘der offensichtliche Ort der offensichtlichen Aktivität ‘’denken’’ ’ DER KOPF ist. Das ist sowohl ‘eigenem Erleben’ (z.B. aus ‘zeitweiligen Einschränkungen’) und ‘menschlicher Erfahrung’ zugänglich. (Noch konsequenter wäre es, DEN KÖRPER INSGESAMT oder zumindest doch DAS GESAMTE NERVENSYSTEM als ‘Generator der Aktivität denken’ zu bezeichnen. Das stelle ich hier aber erst einmal zurück, da es umfangreicher Erläuterungen bedarf.)
Der (von dir so genannten) ‘Grunddoktrin’ liegt genau die ‘Erfahrung’ zugrunde, dass ‘Erlebnis’ die Grundlage der ‘Aktivität denken’ ist. ‘Erfahrung’ bezeichne ich dabei als ‘Schlussfolgerung aus Erlebnissen’, als ‘Ergebnis der Aktivität denken’.
Nach Ernst von Glasersfeld (siehe ‘Philosophische Lektüre 6’) behauptet bereits Pyrrhon (gest. 270 v.u.Zt.) ‘erleben’ als einzige Grundlage menschlichen Denkens: „Pyrrhons Schule, die mehr als ein halbes Jahrtausend später von Sextus Empiricus beschrieben und erläutert wurde, machte klar, dass es eben die Vernunft und nicht ihre Unzulänglichkeit ist, die zu der Überzeugung führt, dass der Erlebende niemals erkunden kann, inwieweit oder ob überhaupt das, was er erlebt, mit einer von ihm unabhängigen Welt übereinstimmt. Um da eine Übereinstimmung festzustellen oder zu prüfen, müsste das Erlebte ja mit der 'Wirklichkeit' verglichen werden - und dieser Vergleich ließe sich nur machen, wenn man Erlebtes dem noch nicht Erlebten gegenüberstellen könnte. Der einzige Zugang zu noch nicht Erlebtem aber führt eben durch das Erleben, und darum lässt sich nie ermitteln, ob die Art und Weise des Erlebens das von der Wirklichkeit 'Gegebene' vermindert oder verfälscht.“ (Nebenbei: ICH würde natürlich hier NICHT das Wort 'Vernunft' benutzen :-))
Die von dir als ‘Dualismen’ bezeichneten Begriffspaarungen sehe ich zum Teil nicht als Gegensätze, zum Teil aber auch als ‘sich ausschließende Gegensätze’: weder schließt ‘Sensualismus’ ‘Mentalismus, noch ‘Anschauung’ ‘Begriff’ aus. ‘Empirismus’ und ‘Rationalismus’ können allerdings, je nach ihrer Definition, unvereinbare Gegensätze darstellen. M.E. macht erst die einseitige Betonung des einen oder anderen Aspektes unter Ausschließen des anderen einen Gegensatz daraus.
Wenn ich, in meiner Sprache, die jeweils ersten Teile deiner ‘Dualismen’ (falls) zutreffend als ‘durch Sinne vermittelt’ und die zweiten Teile als ‘Ergebnisse der Aktivität denken’ bezeichnen kann, wird ja daraus nur dann ein Gegensatz, wenn behauptet würde, dass ‘durch Sinne vermittelt’ grundsätzlich ‘Ergebnisse der Aktivität denken’ ausschließt. Diese Behauptung ist mir als Urteil über ‘Sensualismus’ auch schon begegnet, es fehlen mir jedoch noch Quellenangaben, aus denen hervorgeht, dass ‘Sensualisten’ (welche Philosophen dazuzurechnen wären, bleibt vor einer genaueren ‘sensualistisch geprägten’ Definition noch offen) ‘denken’ ausgeschlossen hätten.
Oder hab ich da etwas missverstanden?
Zu ‘Erkenntnis’:
Mir scheint aus meiner, auf der Basis einer zugegebenermaßen erst sehr oberflächlichen und sicherlich auch laienhaften Kenntnis DER Philosophie, ‘sensualkonstruktivistischen’ Sicht Platons ‘Ideenlehre’ der Ausgangspunkt vieler Begrifflichkeiten zu sein. Aber ich frag mal: ist nicht das der Beginn des ‘a priori’ Gedankens, dass ‘Idee’ bereits VOR allem anderen EXISTIERT?
Wird nicht dann erst ‘die Möglichkeit der Erkenntnis’ überhaupt plausibel, wenn es ein ‘an und für sich’ gibt, das nur der ‘Erkenntnis’ harrt?
Ohne hier noch weiter auf die (m.E. ‘fatalen’) Implikationen der ‘Denkfigur’ ‘Erkenntnis’ eingehen zu wollen, möchte ich doch drauf hinweisen, dass bereits bei den Vorsokratikern ‘der Verdacht bestand’, dass wir überhaupt nicht ERKENNEN KÖNNEN.
Dazu noch einmal Ernst von Glasersfeld: „Demokrit, zum Beispiel (also gibt es wohl noch mehrere mit ähnlicher Sicht, s.u.; Rolf), erklärte schon im 5. Jahrhundert vor Christus, ‘dass wir nicht erkennen können, wie in Wirklichkeit ein jedes Ding beschaffen oder nicht beschaffen ist’. Von Xenophanes, Alkmaion und Heraklit haben wir ähnliche Fragmente.“
‘Erkenntnis’ scheint mir aufzubauen auf ‘Denkfiguren’ wie ‘Wahrheit’, ‘Objektivität’ und ‘Kausalität’. Der Begriff ‘Erkenntnis’ hat eben nicht den Beliebigkeitsgrad, dass er sich auf ‘konstruieren von Zusammenhängen, die so oder auch anders sein können’ reduzieren lässt. Vielmehr führt er den Anspruch mit sich, ‘dass es SO IST!’. (In den selben Topf werfe ich ‘Wissen’, das ich auf ‘erinnern können’ reduziere.)
Der Begriff ‘Epistemologie’ scheint mir da ‘etwas bescheidener daherzukommen’, da er in seinem Ursprung auf ‘episteme’ zurückgeht, was AUCH als ‘Einsicht’ übersetzt werden kann. Das könnte dann eben ‘Einsicht in Zusammenhänge’ sein, im Sinne des konstruktivistischen Begriffes ‘Viabilität’ (Gangbarkeit), der letztlich nichts anderes besagt als ‘Es funktioniert (so)!’. Das lässt immerhin offen, dass ‘es’ vielleicht auch noch anders funktionieren könnte.
Was meinst du mit „Philosophie einzig in erkenntnistheoretischer Absicht scheint mir zu früh auf ihren spezifischen ‘Weltzugang’ zu verzichten“?
Muss nicht jede Philosophie zuerst einmal ihren ‘epistemologischen (Hinter)GRUND’ geklärt haben, BEVOR sie zu weiteren Aktivitäten übergeht? Wäre nicht Philosophie, die darauf verzichtete ‘pure Spekulation im luftleeren Raum’?
Wenn ‘Epistemologie’ sich auf das Errichten einer Grundlage der Philosophie beschränkt, muss ja nicht gleichzeitig sich auch die jeweilige Philosophie auf diese Grundlage beschränken. Eine ‘lebenszugewandte Philosophie’, wie sie ja viele Philosophen gewollt haben, ist ja gerade ‘klären von Zusammenhängen’, die letztlich auch ‘alltagsrelevant’ sind. Aber das ist vermutlich ‘Ansichtssache’ und vielleicht auch ein anderes Thema.
Was das „(zurückverfolgen) in die Einheit ihres Entstehungszusammenhangs“ und „einem übergeordneten Entwicklungszusammenhang in der Philosophie“ angeht, bin ich nicht nur sehr bereit dazu, sondern schon damit beschäftigt. „daß die Frage nach dem Sensualismus sich als abhängig erweist von einem übergeordneten Entwicklungszusammenhang in der Philosophie“ scheint mir auch so, da ich sonst überhaupt nicht von einem (unüberwindlichen!) Gegensatz zwischen ‘Sensualismus’ auf der einen und ‘Ontologie / Metaphysik’ auf der anderen reden würde. Es gibt ja etliche Ansätze, die beides vereinen wollen. Das halte ich aus meiner (jetzigen) Sicht (bisher) für unmöglich.
(Nachtrag am 14.04.05) Was meinst du mit "spezifischem 'Weltzugang' DER (?) Philosophie"?
Hätte nicht u.U. eine 'sensualistisch geprägte' Philosophie einen anderen 'Weltzugang' als eine 'ontologisch metaphysisch geprägte'?
Rolf