Nauplios:
Hallo TemporarySilent! – Schiffbruch mit Zuschauer – Bei dieser Lektüre hätten wir natürlich schnell zu einem Exempel für diese Metapher werden können. Du hast Dich mit diesem Buch ja sehr intensiv beschäftigt. Wie stellt sich Dir diese Lektüre von heute aus dar?
TemporarySilent:
Lieber Nauplios, für mich fand die Beschäftigung mit Blumenberg auf 2 Ebenen statt ( z.T. glich sie einer Fahrt auf einem tosendem Meer ;-) )
A.Die Lektüre-Ebene: an diese waren best. Leitfragen gekoppelt (Wie stringent entwickelt B. die Schiffbruchsmetaphorik? Welche Verständnisprobleme tauchen auf? Welche Sekundärliteratur oder I-net-Research hilft beim Verständnis?) Kurzum, für mich war es nicht nur eine Einführung in B.´s Metaphorologie sondern ein finaler Rundumschlag über 2000 Jahre Philosophiegeschichte.
B.Die Nauplios –Temp –Kommunikation : meine Verständigungsschwierigkeiten basierten auf unterschiedlichen Herangehensweisen (Nauplios mit philosoph. phänomenolog. Schwerpunkt versus Temp mit soziolog. phänomenol. Schwerpunkt)
Wie wirkte sich diese Lektüre auf Dich aus?
Nauplios:
Für mich war es ein Wiederlesen nach über 20 Jahren – also auch fast eine Neulektüre. Natürlich vergißt man im Laufe dieser Zeit so einiges. Und es ist ja auch immer ein Unterschied, ob man „nur“ liest oder ob man das Gelesene auch miteinander bespricht. Auffallend ist ja, daß in dem Buch ein Wort fast gar nicht vorkommt: Das Wort „ich“. Das ist in philosophisch-wissenschaftlichen Werken zwar nicht gar so außergewöhnlich, aber für Blumenberg ist es doch sehr bezeichnend. Er nimmt sich als Autor ganz zurück. Er hat sich dem Wissenschaftstourismus vollends entzogen, aber er entzieht sich auch seinen Lesern. Blumenberg hat als Philosoph eigentlich kein „Anliegen“, es sei denn: „Zu sagen, was ich sehe“ – wie er sein „Programm“ mal auf eine Kurzformel gebracht hat.
TemporarySilent:
Wenn Du seine Kurzformel „zu sagen, was ich sehe“ auf das gesamte Buch anwendest, dann leben wir in unterschiedlichen Lebenswelten. Erst im Kapitel 4, meinem persönlichen, intellektuellen Schiffbruch begann ich zu begreifen, fast langsam und quälend, dass seine literarischen Beispiele lediglich Illustrationen waren, um diese Totalität der Daseinsmetapher zu unterstreichen. Allerdings waren dann 100 Seiten verstrichen, bis ich mich an diese Erzähltechnik gewöhnte. Auffallend waren seine unzähligen Fußnoten, die zumeist 1/3 jeder Seite einnahmen:
Ich bedauere, dass wir nicht die Zeit fanden, allen Querverweisen zu folgen. Das hätte wohl den Rahmen unseres Arbeitsvorhabens gesprengt.
Nauplios:
Ja – Blumenberg ist ein sehr voraussetzungsreicher Autor. Als profunder Kenner der Philosophie- und Literaturgeschichte schöpft er aus dem „Vollen“ und führt den Leser bald in die Antike, bald ins Mittelalter, bald zu Goethe hin. Damit stellt sich für uns, die wir diese „Voraussetzungen“ so nicht mitbringen, das Problem, daß wir eigentlich mehrere Anläufe zur Lektüre dieses Buches nehmen müßten: Man könnte das Buch alle 5 Jahre neu lesen, um dann zu sehen, ob 5 Jahre philosophischer Lektüre das Defizit an „Voraussetzungen“ abgebaut haben … Vorläufig muß man sich halt damit bescheiden, daß man eben nicht alles an diesem Buch verstanden hat und nachvollziehen kann. – Aber das ist letztlich (fast) bei jedem philosophischen Buch so. Wer Heidegger, Wittgenstein oder Jaspers liest, hat damit auch eine „voraussetzungsreiche“ Lektüre vor sich. Überhaupt sind ja Lektüren zunächst immer eine einsame Angelegenheit; das kann einem keine „Einführung“ und keine „Internetrecherche“ abnehmen. Nur: Das Internet bietet natürlich etwas, was sich dann an das Lesen anschließen kann: Das Gespräch. Philosophie ist ja seit Sokrates´Zeiten eine dialogische Angelegenheit. Und im Gespräch kann man dann versuchen, sein Verständnis des Gelesenen abzuklären. Dafür sind – unter anderem – philosophische Foren da …
TemporarySilent:
Mein persönliches „Highlight“ war der „Ausblick auf die Theorie der Unbegrifflichkeit“ . M.E. hat B. einen „milestone“ für die genuine Metaphorologieforschung gelegt. Metaphern improvisieren
Verständigungsgrundlagen, die es ohne sie nicht gäbe, über die Zeiten hinweg. Es liegt in dieser
Vermittlungsfunktion begründet, dass Metaphern transponiert werden können – sozusagen über alle Zeiten hinweg. Der Schiffbruch - egal von welcher Position aus, dokumentiert diese Up´s & Downs.
Wie hat sich denn Dir der theoret. Ausblick am Ende des Buches erschlossen?
Nauplios:
Ja, diese „Theorie der Unbegrifflichkeit“ ist zusammen mit den „Paradimen zu einer Metaphorologie“ eine der ganz wenigen „Programmschriften“ von Blumenberg. Erschienen sind die „Paradigmen zur einer Metaphorologie“ ja zunächst mal in Erich Rothackers „Archiv für Begriffsgeschichte“ – eine Art Vorläufer des späteren „Historisch-Kritischen Wörterbuchs der Philosophie“. Blumenberg hat allerdings diese theoretischen Ansätze dann nicht mehr weiterverfolgt. Es ging ihm schließlich auch wohl mehr um „Inhaltliches“ und er hat diese mehr erkenntnistheoretischen Grundfragen dann aufgegeben zugunsten seines philosophischen Erzählens. Im Grunde ist er ja ein Erzähler, der die großen Fragen der Philosophie zwar aufgreift, ihre Verwandlungen, Um- und Neuformulierungen – er spricht hinsichtlich der Metaphern dann gern von „Umbesetzungen“ – nachzeichnet, ohne sich dabei allerdings auf Antworten einzulassen. Das ist vielleicht für Erstleser zunächst mal etwas Irritierendes, daß hier ein Autor (teils auf 800 Seiten und mehr) „ausholt“, um dann aber Antworten „schuldig“ zu bleiben. Blumenberg war insofern auch ein Skeptiker, der zwar den philosophischen Antworten mißtraute, ohne aber die (großen) Fragen aufzugeben.
TemporarySilent:
Vermutlich las ich Blumenberg unter völlig falschen Voraussetzungen. Ich erwartete Fragen und Antworten und darum ist es ihm im Wesentlichen nie gegangen. Das Schlüsselwort zu seiner Philosophie lautet Kontemplation und nicht Erkenntnistheorie. Diesen Fehler beginne ich erst jetzt nach abgeschlossener Lektüre allmählich zu korrigieren. Es ging ihm - und dahingehend gehen wir konform - um die Skepsis an (philosoph.) hermetisch abgeriegelten Theoriegebäuden und dennoch wirkt er auf mich wie jemand, der von seinen Lesern nichts anderes erwartet, als den Verzicht auf schnelle Gewissheit. Diesen Eindruck hat er zumindest bei mir hinterlassen.
Nauplios:
Ja – die Frage stellt sich dann nur (und das ist eine zutiefst Blumenberg´sche Frage): Wie läßt sich ohne diese (schnelle) „Gewißheit“ leben? An irgendeiner Stelle in einem anderen Buch spricht er mal vom „vernünftigen Umgang mit der Vorläufigkeit der Vernunft“. Dadurch, daß es auf die letzten Fragen nur vorletzte – eben ungewisse – Antworten gibt (zumindest solange man kein Offenbarungswissen bemüht), wird das Dasein zu einem Provisorium. Und dieses Provisorium gestaltet sich nach Blumenberg zu einem
Resignationsprozeß. – Wie ist die illusionslose Versöhnung des Menschen mit seinem eigenen Dasein denkbar? Das ist kein Resignieren im Sinne von Verzweifeln, sondern im Sinne eines schrittweisen Sichabfindens mit einem in der Moderne fälligen Sinnverzicht. Die „Kunst der Resignation“(„Höhlenausgänge“; S. 791) – ist eine des Abschiednehmens und Loslassens von überdehnten Sinn- und Fürsorgeansprüchen … eine Kunst des gelassenen Einverständnisses mit der grund- und rücksichtslosen Welt. Die Metapher vom Leben als Seefahrt macht diesen Daseinsaspekt deutlich.
TemporarySilent:
Die Statuspassagen unseres Lebens sind angesichts dieser Totalität ein exemplarisches Scheitern – gekennzeichnet am Umschlag von Euphorie in Katastrophe und schließlich, wenn der Schiffbrüchige naß und doch zufrieden sein gestrandetes Gefährt aufgibt, Resignation. An dieser beinahe „ fröhlichen“ Resignation lässt sich das Sinnbild der eigenen Lebenspläne erkennen. Der kulturwissenschaftliche Blick wird freilich noch ältere Bedeutungsgeschichten freilegen: die Schiffahrtsmetapher, wie sie Ernst Robert Curtius von Vergil bis Spenser verfolgt hat; das Narrenschiff, dessen grausamen Zweck Foucault wiederentdeckte; den Schiffbruch mit Zuschauer, wie ihn Blumenberg als "Paradigma einer Daseinsmetapher" interpretiert hat.
Auf den Tag genau sind es drei Monate, die wir uns Zeit (nicht Frist;-)) genommen haben, um diese Entwicklung der Daseinsmetapher mitzuverfolgen, zu interpretieren und in unsere lebensweltlichen Sinnkonstrukte einzubinden. Ein Arbeitsvorhaben geht zuende. Ich möchte mich aus ganzem Herzen bedanken für Deine Zusammenarbeit und Geduld angesichts meiner unendlichen Fragen, für das Vergnügen beim Austausch unserer Postings (nicht zuletzt für Deine „naupliosianische“ Veranschaulichung der „Transzendentalität“) . Ich habe diese besonderen philosophischen Momente genossen und sehe künftigen Arbeitsvorhaben mit Freude und einer gehörigen Portion Neugier entgegen. ... the sky is the limit ...
Nauplios:
„… the sky is the limit … „ – ein für die Phänomenologie vertrautes Bild; „Horizontverschmelzung“ nannte Husserl das … … und den durch nichts verstellten Horizont hat man ja bekanntlich auf See, was ein Argument für eine Woche auf Hallig Hooge wäre … … davon wird noch zu sprechen sein …
Tja – liebe TemporarySilent, ein Quartal geht zuende … ein Quartal mit vielen Teles und Gesprächen zu Blumenberg, zur „Transzendentalität“, zu anderen philosophischen Themen und zu manch´halb Privatem / halb Philosophischem. – Ich bedanke mich meinerseits bei Dir für die gute Zusammenarbeit und das offene Ohr, das Du allen Belangen gegenüber hattest. Du hast diese philosophische „Feuertaufe“ – sich mit einem Autor wie Blumenberg abzugeben, erfordert eine gewisse „Nachhaltigkeit“ - mit Bravour und Ausdauer überstanden. Das ist nicht selbstverständlich. Was das neue Quartal angeht, so laß ich mich von Deinem Erfindungsreichtum und Deiner „Neugier“ überraschen. Hans Blumenberg hat in dem berühmten Frankfurter Fragebogen auf die Frage „Welche Eigenschaft schätzen Sie bei Frauen am meisten?“ geantwortet: „Frische“. – Jetzt erst weiß ich, was er meinte.
"Wir sind hier alle Individualisten. " - "Nein, ich nicht, ich bin der einzige, der kein Individualist ist. " (Das Leben des Brian)