Wenn Philosophie einen existenziellen Bezug haben soll, wenn sie keine “schale Affaire“ (P.S.) bleiben will, bedeutet dies auch, daß die Sloterdijk´sche Sphärologie in drei Bänden -dies große Projekt, das narrativ vor uns ausgebreitet wird- Anküpfungspunkte an unsere Gegenwart aufweisen muss. ’Die Sphären’ wollen einen Sprachzuwachs liefern, so der Autor, mit dem bisher im Hintergrund oder in der Latenz liegende Konstellationen aletheischer Natur in den Vordergrund gerückt werden können. Ob sie sich dort halten können ist die Frage.
Sloterdijk schreibt irgendwo, dass der dritte Band der Trilogie im Prinzip der Erste sei. Unter einer bestimmten Lesart kann man sagen: das ist alleine schon deshalb so, weil hier der Gegenwartsbezug der stärkste ist. Die beiden vorangestellten Bände ’Globen’ und ’Blasen’ liefern Kathegorien, abgeleitet aus Beobachtungen der Anthropogenese, für eine andere Lesart der Verhältnisse in der Gegenwart. Sloterdijk selber dazu:
“Das philosophische Engagement von Sphären I besteht in dem Vorsatz, die in der philosophischen Tradition stiefmütterlich behandelte Kategorie der Relation, der Beziehung, des Schwebens in einem Ineinander-Miteinander, des Enthaltenseins in einem Zwischen, zu einer erstrangigen Größe zu erheben und die sogenannten Substanzen und Individuen nur als Momente oder Pole in einer Geschichte des Schwebens zu behandeln. Dies alles aber nicht im Stil einer Dialogphilosophie, wie sie unter modernen Theologen populär geworden ist, sondern mit Hilfe einer profanen oder anthropologischen Theorie des geteilten Raums oder des subjektiven Feldes.“ (Die Sonne und der Tod, Dialogische Untersuchungen mit Hans-Jürgen Heinrichs)
Man sagt bestimmt nicht zuviel, wenn man behauptet: Sloterdijks Projekt lebt von der Tragkraft zentraler Metaphern. Eine dieser Metaphern ist die des Raumes in einem nichtkategorialen Sinn. Er spricht von Räumen und dessen was diese Räume enthalten, den Menschen, der nicht nur Einwohner dieser Sphären, Globen, Blasen und Schäume ist sondern, der auch jene stets dyadisch schwebende Relation darstellt, die ’Raum’ überhaupt erst konstituiert. Im Rückgriff auf Heideggers Postulat “Der Mensch ist Weltbildend“, wird für Sloterdijk diese Welt- und Raumbildung als primordiales Ereignis der Anthropogenese, zum Leitfaden und Ausgangspunkt einer neuen Perspektive auf den Kulturprozesses überhaupt.
“Der ekstatisch eingenommene Raum ist nicht eine Raumstelle, sondern der Spielraum des Umkreises des besorgten Zeugganzen, den Ausrichtung und Entfernung geöffnet haben. (M. Heidegger, S.u.Z., § 70, S. 369)“
“Der ekstatisch eingenommene Raum“ als “Spielraum des Umkreises“, Sloterdijk übersetzt, fast könnte man sagen entmythologisiert, dieses Heideggersche Philosophem um zu beschreiben wie, im ungeklärten Kernbereich der Menschwerdung, das Primärereignis einer Raumrevolution stattgefunden haben muss. Den ersten Hominiden, wie später einst Petrarca, geht mit der Savanne eine Landschaft auf, und wird damit zu einem “Verdrängungselement“(S.357) aus dem eine anthropogene Insel emergiert. Im “Inneren“ dieses Prozesses werden distanzerzeugende Artefakte zum Träger dieses Isolationsprozesses. Die Wurfweite eines Steines definiert das erste Urbi et Orbi. “Das Zeugganze“, wie Heidegger schreibt, ist für den Anthropos jenes Ensamble von Prothesen, das im ambivalenten Spiel zwischen Distanzerzeugung und Körperausschaltung eine Enklave im Meer der Natur isoliert, in die hinein, die Natur "mitnehmend", das große Verwöhnungsprojekt Kultur überhaupt erst starten kann.
Heideggers philosophische Dichtung ist natürlich schwierig zu verstehn. Nicht nur für dich sondern auch für mich. Es wäre weit übertrieben würde ich sagen das ich weiß worauf er aus ist. Ich hatte die Vorlesungen aus dem Wintersemester 1929/30 die bei Klostermann unter dem Titel 'Grundbegriffe der Metaphysik' erschienen sind vor Jahren gelesen. Spannende Lektüre allemal. Auf diesen Seiten entwickelt Heidegger diesen Gedanken der "Weltbildung" als etwas das den Menschen vom Tier, das er als weltarm bezeichnet und vom Stein der weltlos genannt wird, unterscheidet. Die Herleitung und die Auslegung dieser Thesen ziehen sich über mehrere Kapitel. Zu viel und zu kompliziert das hier aufzudröseln. Sloterdijk, das kann man alleine schon im Personenregister der Sphären erkennen indem Heidegger der am häufigsten zitierte Autor ist, beutet dessen Werk unter dem Verdacht in ihm verberge sich eine "verkappte" Raumtheorie intensiv aus. Neben 'Sein und Zeit' sind diese Vorlesungen aus dem Jahr 29/30 der reichste Steinbruch. Ich würde sogar sagen, das sich in diesen Vorlesungen Theoriefragmente befinden die erst zwanzig Jahre später, mit dem virulent werden der Kybernetik, explicit wurden. Ebenso sind hier ganze Passagen verborgen die sehr stark an systemische Theoreme erinnern die ebenfalls erst Jahrzehnte später in den Blick der Philosophie kommen.
Ich schrieb, daß Sloterdijk den Heidegger "entmythologisiert". Das sehe ich so, weil er die ganze Konstellation dieses gedachten "Primärereignisses der Hominisation", im Verbund mit den Erkenntnissen moderner Anthropologie, mit Heideggers latenter Raumtheorie evident in Verbindung bringen kann. Ein Stein, der in die Hand genommen wird und mit dem ein Ziel anvisiert wird, das vielleicht getroffen oder verfehlt wird, in diesem Primärvorgang des vielleicht ersten Werkzeuggebrauchs steckt das was Heidegger "den geöffneten Spielraum" nennt. Die "Ausrichtung" (Husserls Intensionalität wird hier sichbar) die eröffnet, die "Entfernung" die durch die Kraft eines Wurfes das definiert was der Werfer erreichen (besorgen) kann. Ich finde das passt sehr gut in die Heideggersche Fundamentalanalyse.
Vorab erstmal vielen Dank für deine Einführung zu Heidegger. Raumtheorie kannte ich bislang aus Georg Simmels "Soziologie des Raumes".Der Raum ist die "Tätigkeit der Seele" und die Grundqualität der Raumform ist die "Ausschließlichkeit": "Wie es nur einen einzigen Raum gibt,von dem alle einzelnen Räume Stücke sind, so hat jeder Raumteil eine Art von Einzigartigkeit,für die es kaum eine Analogie gibt."(S.221-242)
In Antwort auf:Sloterdijk, das kann man alleine schon im Personenregister der Sphären erkennen indem Heidegger der am häufigsten zitierte Autor ist, beutet dessen Werk unter dem Verdacht in ihm verberge sich eine "verkappte" Raumtheorie intensiv aus. Neben 'Sein und Zeit' sind diese Vorlesungen aus dem Jahr 29/30 der reichste Steinbruch. Ich würde sogar sagen, das sich in diesen Vorlesungen Theoriefragmente befinden die erst zwanzig Jahre später, mit dem virulent werden der Kybernetik, explicit wurden.
Ich kenne leider die Vorlesungen nicht, die du dir anhören konntest.Allerdings las ich den Aufsatz Heideggers:"Die Kunst und der Raum" (St.Gallen /1969)Dort begreift er den Raum als "geräumte" Wildnis:"Räumen erbringt das Freie,das Offene für ein Siedeln und Wohnen des Menschen". (S.7)Die entstandenen Orte öffnen die Gegend,in der "das Offene angehalten (ist), jegliches Ding aufgehen zu lassen in sein Beruhen in ihm selbst" (S.9).Er beschreibt die Plastik als Kunstform,in der der Raum von Bedeutung ist.Lassen sich seine Thesen ohne weiteres auf andere Formen übertragen?
Dein "Steinwurf" öffnet den "Spielraum" und erweitert ihn.Was geschieht wenn wir uns entfernen und einen neuen Ort aufsuchen? An einem neuen Ort ist der Raum für uns zunächst noch bedeutungsfrei. Erst durch unseren Aufenthalt füllen wir ihn mit unseren Bedeutungen und Gefühlsbeziehungen.
Als Nachtrag bleibt vielleicht noch, dass es mich interessieren würde wie Sloterdijk von den "Räumen" zu den "Sphären" gelangt und vorallem inwiefern er Heidegger "entmythologisiert". Fragen über Fragen...
warm regards
Temp=) "Wir sind hier alle Individualisten. " - "Nein, ich nicht, ich bin der einzige, der kein Individualist ist. " (Das Leben des Brian)
Bei Sloterdijk finde ich eine sehr schöne Denkfigur. Er spricht davon, das der Gang der Geschichte bedeutet das etwas in der Latenz, in der Verborgenheit, in der Einfaltung liegendes, in die Explizitheit, in die Unverborgenheit, in die Ausfaltung gebracht wird.
Zum Beispiel die biologische Konstitution des Menschen. Es kommt erst in der Renaissance zur forcierten Enddeckung der inneren Verhältnisse des Körpers. Der Chirurg als Columbus des Körpers dringt vor zu einer terra incognita und fördert ein Wissen zu Tage mit dem sich Generationen nicht belasten mussten. Wissen um eine Sache bedeutet auch immer zu wissen oder zu ahnen was alles schief gehen kann. Haben sie Angst vor Herzinfarkt mein Herr? Leiden sie an Übergewicht? Was machen ihre Kohlehydrate und welche Fette meiden sie? Ist ihre Wohnung Aspestfrei? Leiden sie unter Pollenallergie? Tragen sie ein Krebsgen in sich? Wann hatten sie ihre letze Darmspiegelung? Nutzen sie pränatale Diagnostik, meine Dame? Liegt ihr Kind richtig im Uterus? Wann trifft uns ein Stein aus dem Asteroidengürtel und wie lange hält der Wasserstoffvorrat der Sonne?
Mir scheint hiermit ein 'unterirdisches', kaum bewusst wahrgenommenes 'Entropisches Gesetz' der Erkenntnisgeschichte gefunden zu sein, eine Art Gesetz vom Wärmetod des Wissens. Das was uns die Fernrohre und Radioteleskope, die Mikroskope, Computertomographen und Kernspintomographen zeigen, ist eine Welt deren Informationen ohne Unterlass und in exponentieller positiver Beschleunigung in die Explizitheit fluten. Eine Welt jenseits der natürlichen Sinne. Und wir, ohne Chance dankend zu verzichten, neiden den Naiven ihre Naivität! Wissen bedeutet längst nicht mehr Macht. Wissen bedeutet auch die Nötigung zum Umgang mit dem Ungeheuren.
Angelus Novus, der 'Engel der Geschichte' beginnt sich umzuwenden. Dieser Engel Paul Klee´s, den Walter Benjamin von einem Sturm getrieben sieht der vom Paradies her weht, dieser Engel schaut nun mit weit aufgerissenen Augen und weit gespannten Flügeln in die Zukunft. Benjamin schrieb noch über Klee´s Engel:
"Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm."
Hier und Heute zeigt sich nun die Torsion. Jedoch anders als der Blick zurück, kennt der Blick nach vorne keine Dimension. Dort wo die oben beschriebenen Informationen kondensieren, in den Nebelkammern unserer Wahrnehmung, dort ist eine Grenze, der Screen. Eine Scheibe aus Milchglas die vertikal unsere gegenstandslose Gegenwart schneidet. Keine Teleologie, keine Utopie, kein Blick dringt durch. Der Fortschritt ist eine Simulation auf der Oberfläche unserer Bildschirme. Man muss sich Klee´s Bild so denken, als würde der Betrachter in der Zukunft stehen und zwischen ihm, dem Betrachter, und dem Engel ist eine Scheibe. Jetzt steht er da, der Engel, fest an diese Scheibe gepresst. Die Augen, zur Seite blickend, in dem Versuch den Rand der Simulation zu erfassen oder den Griff zu erblicken mit dem sich noch eine Zukunft eröffnen ließe. Sein Blick dringt nicht zu uns durch und er ist gefangen in einer ausdehnungslosen und ausgangslosen Gegenwart. Wären wir Gnostiker, würden wir darauf kommen, das die Scheibe ein Spiegel ist und diagnostizieren: Nicht gerettet!.
bedauerlicherweise hatte ich zuvor wenig Zeit gefunden mich mit deiner Argumentation auseinander zu setzen,dennoch bemühe ich mich deiner These nachzufolgen.
In Antwort auf:Mir scheint hiermit ein 'unterirdisches', kaum bewusst wahrgenommenes 'Entropisches Gesetz' der Erkenntnisgeschichte gefunden zu sein, eine Art Gesetz vom Wärmetod des Wissens. Das was uns die Fernrohre und Radioteleskope, die Mikroskope, Computertomographen und Kernspintomographen zeigen, ist eine Welt deren Informationen ohne Unterlass und in exponentieller positiver Beschleunigung in die Explizitheit fluten. Eine Welt jenseits der natürlichen Sinne. Und wir, ohne Chance dankend zu verzichten, neiden den Naiven ihre Naivität! Wissen bedeutet längst nicht mehr Macht. Wissen bedeutet auch die Nötigung zum Umgang mit dem Ungeheuren.
Ist es nicht eine Frage der Zuständigkeiten, eine Frage welchen "Experten" wir zutrauen, einer gewissen Informationsflut Herr zu werden?Kein einzelner kann die herrschende Informationsflut übersehen.Es ist eine Frage von Wahrnehmungsfiltern ,wieviel Informationen der einzelne zuläßt. Der "Umgang mit dem "Ungeheuren" ist doch eine Frage der Allokation.Wir nehmen Fragmente von Meinungen dar,Lesarten, die wir je nach Plausibilität zu unseren transformieren oder auch nicht.Wir beneiden nicht die Naiven sondern bekämpfen einen zähen Brei von Informationsflut, diese bringt dann (und da weiß ich nicht, ob ich dich angemessen verstehe... )Gegenstände in die "Ausfaltung", mit deren Auftreten und /oder Konsequenzen unser Dasein einschneidend verändern kann.
Symbolisiert nicht dein Angelus Novus einen Hilfeschrei, angesichts des Überflutungsprozesses? Bestehen alternierend Mölglichkeiten, diese "Todesform" zu beherrschen ohne die Chancen der Zukunft zu verspielen oder ist es es lediglich ein Geworfensein in eine zukünftige Welt bar jeder Hoffnung??
Fragen über Fragen ...
liebe Grüße
Temp=) "Wir sind hier alle Individualisten. " - "Nein, ich nicht, ich bin der einzige, der kein Individualist ist. " (Das Leben des Brian)
über Hoffnungen zu sprechen?... in einem philosophischen Forum?... Ich weiß nicht?... zumindest schwierig wenn nicht unmöglich.
Dieses Ungeheure hat einen Grund (Ground) von dem es sich abhebt. Dieser "Grund" ist seit Kant die Forderung an das Subjekt, sich selbst aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Erst damit wird klar, das die Erfüllung dieser Forderung angesichts der erzwungenen Delegation von Entscheidungen an sog. Experten unmöglich ist. Wenn wir einmal die Frage beiseite lassen worin die Selbstschuld des Subjektes liegt und nur nach vorne schauen, nach Möglichkeiten die Regie in den Händen zu halten, dann erkennen wir leicht, daß hier das Projekt der Aufklärung sich selbst das Wasser abgräbt. Was für eine Katastrophe für jede, auf ihr aufbauende, politische Struktur. Denn alles das was "dein" Filter nicht durchlässt schafft nach wie vor munter die soziale und politische Realität in der du und ich leben. Es kommt sozusagen durch die Hintertür wieder zurück. Eine Möglichkeit diesen Prozess zu beherrschen sehe ich nicht. Um ihn zu beherrschen müssten wir einen Abstand, und sei es auch nur einen minimalen, einräumen können um überhaupt noch eine Situation reflektieren zu können. Genau dies gelingt eben nicht mehr ("gegenstandslose Gegenwart").
Wo die Hoffnung liegt? Ich werde einmal darüber nachdenken und mit der nächsten Mail darauf eingehen!
Lieber Duns, vielleicht war meine Frage an dich "off-topic". Dennoch würde ich nicht soweit gehen, mich von dem Projekt der Aufklärung zu verabschieden. Die von dir bezeichnete "Katastrophe" ist letzendlich der schleichenden "neoliberalen Invasion" (vgl. Bourdieu)zu verdanken,einer Form von Allmachtsanspruch herrschender Eliten.
In Antwort auf: Eine Möglichkeit diesen Prozess zu beherrschen sehe ich nicht. Um ihn zu beherrschen müssten wir einen Abstand, und sei es auch nur einen minimalen, einräumen können um überhaupt noch eine Situation reflektieren zu können. Genau dies gelingt eben nicht mehr ("gegenstandslose Gegenwart").
Die von dir aufgezeigte Unmöglichkeit zur Distanz bezweifle ich ein wenig Letztendlich setzen du und ich die Prioritäten auch hinsichtlich der Spielräume, um uns Zeit für zumind. partielle Reflektionen zu lassen. Auswege aus der Todesform?
warm regards
Temp=)
"Wir sind hier alle Individualisten. " - "Nein, ich nicht, ich bin der einzige, der kein Individualist ist. " (Das Leben des Brian)
Die Metaphysik HATTE unter sehr vielen anderen Aspekten, auch den Aspekt über den Gedanken der Totalität ein Kosmosmodell zu entwerfen das den Menschen als vollkommen geborgen und geschützt "beinhaltete" als Schutz vor der Möglichkeit ins absolute Nichts zu fallen. Das stellt P.S. zum Beispiel dar, an den Kosmosentwürfen von Platon und Aristoteles (zb. Reflexionen über die Kugel in Bezug auf das Mosaik von Torre Annunziata).
* “Das Konzept Arche (…) enthüllt den sphärologisch radikalsten Raumgedanken, den Menschen an der Schwelle zur Hochkultur zu konzipieren fähig waren: dass nämlich die künstliche, abgedichtete Innenwelt unter gewissen Umständen zur einzig möglichen Umwelt für ihre Einwohner werden kann. Damit wird ein neuartiges Projekt in die Welt gesetzt: die Vorstellung von der Selbstbergung einer Gruppe gegenüber einer unmöglich gewordenen Außenwelt.” (Sphären II, 251)
* "[...] dass Mauerbauen sowieso einen militärischen Grenzwert hat und dass man in Zukunft den Zufall nicht vollständig bannen kann; diese Botschaft kommt auf einem merkwürdigen Wanderweg aus Mesopotamien nach Griechenland, wird dort begriffen und landet in der Intelligenz Platons, der nun die Errichtung dieses großen Immunsystems, das die Stadt ursprünglich gewesen ist, ein militärisches Immunsystem, mit einem ungeheuer kühnen metaphorischen Akt in den Kosmos hinausverlagert. Er beschreibt das Weltall als Ganzes so, als sei es eine Weltstadt." (O-Ton Sloterdijk, HR2 17.03.04)
* “Dem Lebewesen aber, das bestimmt war, alle Lebewesen in sich zu umfassen dürfte wohl die Gestalt angemessen sein, welche alle irgend vorhandenen Gestalten in sich schließt; darum drechselte er sie auch kugelförmig, mit gleichen Abständen vom Mittelpunkt nach allen Seiten zu den Endpunkten und kreisrund, die vollkommenste und sich selbst ähnlichste aller Gestalten.” (Platon, Timaios, 33b)
Was hier also geleistet wird ist nichts anderes als Versicherungsstrategie in perfekter Form. Das Risiko muss da ausgeschlossen werden wo die erste Ursache entstehen könnte. Für Aristoteles ist die äußerste Hülle, die göttliche Sphaira, von solcher Perfektion, das es auf ihrer gedachten Aussenseite NICHTS geben kann. Sie ist "aussen" so glatt, nicht weil sie perfekt gearbeitet ist, sondern weil es, logisch, nichts geben kann in das eine Unebenheit hinausragen könnte. Wie kann das Sicherheitsbedürfnis des denkenden Menschen besser gesichert werden als dadurch das man eine Grenze konstituiert die durch das Denken nicht negiert werden kann.
* “Denken heißt jetzt umziehen in das, woraus keine weitere Entwurzelung mehr möglich ist.” (Sphären II, 361)
Das wir, im 21 Jahrhundert angekommen, längst wieder aus dieser Kugel ausgezogen sind ist klar. Gott ist tot, die Kugel ist tot! Sloterdijk beschreibt hier in einem großen Bogen, wie im Zuge der eigentlichen "Globalisierung" ein Umzug stattgefunden hat aus dem Innenraum der perfekten Kosmoskugel auf deren Oberfläche. Auf dieser Oberfläche steht der Mensch dem entgrenzten Raum gegenüber. Der eigentliche Gedanke, der die perfekte Kugel porös macht, ist der Gedanke der Unendlichkeit wie er in der Scholastik entwickelt wird. Man spielt förmlich mit einem Gedanken, dessen Konsequenzen man nicht überblickt.
* “Sobald der Durchmesser den Wert unendlich erreicht, verliert die Peripherie ihren Wölbungscharakter, da der Umfang des unendlichen Kreises als Gerade zu zeichnen ist. Also fällt das Innere des Pseudo-Kreises ins Heillose zurück. Es gibt kein Inneres mehr; … Alles ist außen.” (Sphären II, 550/51)
Dieser Infinitismus ist die Initialzündung zur Moderne. Seine Ursache ist theologischer Natur. Vielleicht ist das der eigentliche Grund weshalb im Vatikan die Bibliothek der Inquisition bis ins Jahr 2000 geschlossen war. Wie könnte man die gottlose Moderne kritisieren wenn man zugeben müsste das man selber das Kartenhaus zum Einsturz gebracht hat. Der "fundamentalistische Relativismus" (Papst Benedikt XVI) ist hausgemacht.