Die Ästhetik ist zwar eine definierte Sache, laut Duden Fremdwörterlexikon: Die Wissenschaft vom Schönen, die Lehre von Gesetzmäßigkeit und Harmonie in Natur und Kunst. Als Ästhesie bezeichnet man das Empfindungsvermögen.
Dies führt wiederum dazu, daß das Schöne mit einem Empfinden, einer Emotion, verknüpft ist.
Dieses Posting stellt meinen Versuch dar, eine Reise in mein Erleben der Ästhetik - welche bisher für mich immer nur eine nicht greifbare Emotion war,
die sich einstellte, oder auch nicht - zu beschreiben und den Leser einzuladen, diese Welt der Ästhetik mit mir zusammen zu entdecken.
Tja, wo fange ich nur an ?
Eine meiner stärksten Emotionen, welche in die Richtung Ästhetik gehen, hatte ich vor vielen Jahren beim Besuch einer Ausstellung von Max Ernst.
Diese Bandbreite seines Schaffens, seine Vielseitigkeit nahmen mir fast den Atem.
Einen Höhepunkt erlebte ich, als ich zum erstenmal in persona vor seinem Werk "Vox Angelica" stand.
Dieses ist ein Werk, in das Ernst das meiste an Techniken einfließen ließ und das sich aus vielen Teilen zusammensetzt. Die Proportionen sind Grünewalds "Isenburger Altar" nachempfunden.
Es ist 152 x 203 cm gross und besteht aus 52 Bildteilen. Der Künstler war übrigens zur Erschaffungszeit (1943) 52 Jahre alt.
Er nutzte diese 52 Felder um verschiedene Techniken wie Frottage, Oszillation (oder wie Pollock es nannte "dripping"), Grattage und Dekalkomanie (Abklatschtechnik) zusammenzuschmieden.
Diese doch recht nüchtern und handwerklich anmutenden Techniken verknüpfte Ernst zu einer Einheit, welche mich einfach erschauern ließ.
Ehrfürchtig stand ich davor und kam mir mit meinen eigenen Malversuchen klein und unwürdig vor.
Dieses Erschauern versinnbildlicht das, was ich für mich persönlich als Ästhetik bezeichnete.
Nun, wo ich öffentlich darüber nachdenke, meine Gedanken zu diesem Thema zu ordne, fallen mir viele Dinge ein.
Gerade die Eingangs erwähnte Bandbreite Ernsts, das Empfinden vieler seiner Werke als ästhetisch und dies trotz Wechsel der Stile von Dada zu Surrealismus,
von der Collage über die Leinwand hin zur Skulptur läßt mich erstmal innehalten und erstaunt ausrufen: "Was er anfasst, verwandelt er in schöne Dinge!"
Ist also die Ästhetik eher in den Werken Ernsts zu suchen oder in seiner Person ?
Ist die Fähigkeit ästhethischen Schaffens eine Gabe Gottes?
(kann man sich damit infizieren) ? Fragen über Fragen.
Die Antworten liegen allerdings nicht auf der Strasse oder sind in irgendwelchen Büchern zu finden, sondern das Empfinden der Ästhetik liegt in uns selbst -
In jedem von uns.
Wir sagen nicht umsonst: " Die Geschmäcker sind verschieden" oder "Beauty lies in the eye of the beholder" :-)
Auch die Bereiche, über welche sich ästhetisches Empfinden erstreckt, sind mannigfaltig.
Manch einen überläuft beim Lauschen einer Sinfonie an einer bestimmten, immer gleichen Stelle ein Schauer. Manch anderer gerät in Verzückung, beobachtet er das Spiel des Lichtes auf den Facetten eines wunderschönen, geschliffenen Rubins.
Stellen wir uns auf der Suche nach Ästhetik einmal im Geiste zusammen vor "Vox Angelica".

Aus der Nähe betrachtet fällt auf (auf fast keiner Reproduktion sichtbar), daß das Gemälde aus 3 Hauptteilen, welche seperat gerahmt und dann zusammengefügt wurden, besteht.
Alle anderen Rahmen oder die als solche erscheinenden Unterteilungen dieses fast Tryptichon zu nennenden Werkes, hat Ernst einfach auf die Leinwand gemalt!
Noch fast geblendet von diesem Erstaunen fällt unser Blick auf ein immer wiederkehrendes Motiv: nämlich Zirkel, welche in ihrer Form menschenähnlich
(meist feminin) dargestellt werden.
Auch die Signatur des Künstlers "MAX" erscheint wie ein Arrangement aus dem Inhalt eines altertümlichen Zirkelkastens.
Etwas oberhalb der Bildmitte erkennt das geneigte Auge die blassgelben Silhouetten des Eiffelturms und des Empire-State-Buildings.Zwischen ihnen befindet sich eine Fläche - monochrom in einem mittleren Blauton mit dunkelblau geschwungenen, oszillierenden Linien.
Dies sind Bereiche, in welchen sich das Auge ausruhen darf -ist es von den wuchernden, die Phantasie des Betrachters fordernden Bildteilen, welche Landschaften in Dekalkomanietechnik geradezu organisch wachsen lässt, für kurze Zeit überfordert.
Also Kargheit versus überbordende Details ?
Schlichtheit versus Verspieltheit ?
Stoizismus versus Dramatik ?
Eigentlich doch gleichgültig, solange es als "Schön" empfunden wird :-)
Fünf kleine Flächen unterhalb der horizontalen Bildmitte stellen ebenso eine Ruhezone dar, sind sie doch lediglich im selben monochromen Blau wie die Grundierung der Fläche mit den oszillierenden Linien.

